Am 29. Oktober 2025 wurde Prof. em. Dr. Shulamit Volkov im Haus der Universität der Meyer-Struckmann-Preis 2025 zum Themenfeld „Antisemitismusforschung“ verliehen. Damit zeichnet die Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität (HHU) das umfangreiche Lebenswerk einer bedeutenden Wissenschaftlerin aus, die mit ihrem wegweisenden Werk die internationale Antisemitismusforschung entscheidend geprägt hat.
Mit der Auszeichnung von Shulamit Volkov wurde eine Wissenschaftlerin geehrt, deren Werk für eine unermüdliche, intellektuell brillante und zugleich gesellschaftlich hoch relevante Auseinandersetzung mit der Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus steht. Ihre Konzeption des Antisemitismus als »kultureller Code« (zuerst in Leo Baeck Institute Year Book 1978) gilt bis heute als theoretischer Meilenstein. Univ.-Prof. Dr. Anja Steinbeck, Rektorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) eröffnete den Festabend. Es folgten feierliche Grußworte von Univ.-Prof. Dr. Justus Haucap, Vorsitzender der Meyer-Struckmann-Stiftung, Wolfgang Rolshoven, Beauftragter zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens in Düsseldorf (in Vertretung für den Oberbürgermeister der Stadt Düsseldorf Dr. Stephan Keller) sowie Univ.-Prof. Dr. Ulli Seegers, Dekanin der Philosophischen Fakultät.
„Dankbarkeit empfinden wir für ein Lebenswerk, das sich in überaus zahlreichen, wegweisenden Veröffentlichungen ebenso niederschlägt wie im prägenden Umgang einer den Menschen zugewandten Forscherin und Lehrerin mit vielen, vielen Schülerinnen und Schülern, Kolleginnen und Kollegen und anderen Wegbegleitern“, so Laudator Prof. i.R. Dr. Stefan Rohrbacher vom Institut für Jüdische Studien der HHU. In ihren Aufsätzen zeige sich die Preisträgerin als eine Meisterin des Essays und führe anschaulich vor Augen, wie nach dem Verständnis der Autorin Geschichte immer wieder neu zu schrieben sei und „was von der Vorstellung eines ‚deutschen Sonderweges‘ zu halten ist oder gar von der eines ewig sich gleich bleibenden Judenhasses, wie sie mehr oder weniger wissenschaftlich propagiert wurde“.
Gelehrter Antisemitismus
Shulamit Volkov warf in Ihrer Rede einen Blick zurück auf die mittelalterliche Theologie bis zur Moderne und machte die dauerhafte Spannung zwischen aufklärerischer Toleranz und fortbestehendem Antisemitismus in Deutschland deutlich. Das Judentum und die Verhältnisse zwischen Juden und Christen seien immer ein Thema des gelehrten geisteswissenschaftlichen Diskurses gewesen. Das Interesse galt nicht nur „biblischen Topoi“, sondern auch der jüdischen Lebenswelt, ihrer Religion, ihren Gewohnheiten und Sprachen - verbunden mit dem „Missionieren der Juden und das theologische Stärken des Christentums“. Erst die aufkommende Aufklärung, in deren Zentrum der kritische Geist stand und in der die Diskussion über religiöse Toleranz vorherrschte, versprach neue Perspektiven für Juden. „Und darauf reagierte bald die ganze Gelehrtenpolitik“, so Volkov. Der Gedanke religiöser Toleranz führte theoretisch zu einem Umdenken, gleichzeitig hielten sich aber die Vorurteile gegenüber Menschen jüdischen Glaubens hartnäckig. Bedeutende Gelehrte sprachen nun nicht mehr von ‚Juden und Christen‘, sondern von ‚Juden und Deutschen‘. Der nationale Identitätsgedanke gewann an Bedeutung und trotz allmählicher rechtlicher Gleichstellung der Juden, wurden sie als ein „fremdes Volk in Deutschland“ betrachtet. Die Preisträgerin betonte den immer wiederkehrenden „Zick-Zack-Kurs in der Behandlung der sogenannten ‚Judenfrage‘ “ unter den Gelehrten. „Mal schienen solche, die die Gleichstellung der Juden unterstützen, die Oberhand zu haben; mal die Opposition“. Im Zuge der Verbreitung der Rassentheorien, hätten schlussendlich die Naturwissenschaften schrittweise die Deutungshoheit über den Diskurs übernommen „und für die Nazis gab es schließlich keine Ambivalenz“.
Mit einem Blick auf die Kontroverse nach der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den Schriftsteller Martin Walser im Jahr 1998 und damit auf die jüngere Geschichte resümierte Volkov, dass nach einem Jahrhundert des Ringens um die jüdische Emanzipation „die Gesellschaft des jungen Kaiserreiches den Streit um den Antisemitismus vielleicht besser verstanden [hat], als die bundesrepublikanische Öffentlichkeit nach den ereignisvollen Jahren von Nazismus und Krieg, Kommunismus und politischer Teilung. - Die nächste Erprobung läuft noch jetzt, und ihr Ende ist noch nicht in Sicht“.
Musikalisch wurde der Abend durch Charlotte Welling (Gesang) und Dr. Marco Hoffmann (Piano) begleitet.
Zur Preisträgerin
Shulamit Volkov, Professorin (Emerita) für Neuere Europäischen Geschichte an der Universität Tel Aviv, Israel, und Mitglied der Israelischen Akademie der Wissenschaften. Ehemalige Leiterin des Instituts für Deutsche Geschichte und Direktorin a.D. der Schule für Geschichte an der Universität Tel Aviv. Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin und am Historischen Kolleg in München, sowie Gastprofessorin an verschiedenen Universitäten in Europa und den USA. Sie veröffentlichte Bücher, Aufsätze und Essaybände zur Deutschen Sozialgeschichte, Deutsch-Jüdischen Geschichte und zum Antisemitismus sowie zu Aspekten der Aufklärung und zur Historiographie des Nationalsozialismus.
Im Jahr 2022 erschien im Beck Verlag, München, ihr Buch Deutschland aus jüdischer Sicht. Eine andere Geschichte vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart (auf Hebräisch in 2023 und auf Englisch als Germany through Jewish Eyes im Cambridge University Press Verlag, 2025); im Jahr 2023 erschien im Verlag De Gruyter, Berlin, ihre Essaysammlung Interpreting Antisemitism. Studies and Essays on the German Case.
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Zum Meyer-Struckmann-Preis
Die Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf schreibt seit 2006 den Meyer-Struckmann-Preis für geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung aus. Die Meyer-Struckmann-Stiftung fördert Wissenschaft und Forschung, insbesondere im Bereich der Kultur- und Geisteswissenschaften. Der Preis ist mit 20.000 Euro dotiert und wird jährlich zu wechselnden Themen vergeben.
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