Nach vier Jahren an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg und 22 Jahren an der Heinrich-Heine-Universität als Professor für Jüdische Studien scheidet Stefan Rohrbacher mit Ablauf des Monats Januar 2025 aus dem Dienst
Die Wahl der Studienfächer Orientalistik und Judaistik war eher unvernünftig, denn irgendwelche Berufsaussichten gab es da in der Bundesrepublik des Jahres 1977 nicht. Es war reine Neigung, und im Fall der Judaistik vor allem die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und mit einer Geschichte, die in der eigenen Familie beschwiegen wurde und als Trauma dennoch stets präsent war. Nach dem Wechsel von der Universität zu Köln nach Berlin kamen die Fächer Geschichte und Kunstgeschichte hinzu. Die Promotion erfolgte 1991 am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Mit seiner Dissertation legte Stefan Rohrbacher eine minutiöse Untersuchung der antijüdischen Ausschreitungen im deutschen Vormärz und während der Revolution von 1848/49 vor, die er entgegen der damals vorherrschenden Lesart nicht als allgemeines Krisensymptom deutete, sondern als gewalttätige, zielgenaue Interventionen gegen die Emanzipation und Integration der jüdischen Minderheit.
Auf die Promotion folgten einige Jahre an der Historischen Kommission zu Berlin und am Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg. Inzwischen hatte sich der Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit vom 19. Jahrhundert auf die Frühe Neuzeit verlagert - damals eine noch weitgehend vernachlässigte Epoche der Geschichte der Juden in Deutschland. Hier stellten sich die Fragen nach den Bedingungen und Qualitäten einer minoritären Existenz etwas anders: Hier ging es nicht um Fragen von Emanzipation und Integration, sondern um eine zwar keineswegs hermetisch abgeschlossene, aber doch wesentlich auf ihr Eigenleben bezogene, auf Autonomie bedachte jüdische Sphäre. Damit kam zwangsläufig der Kenntnis der hebräischen Schrift und Sprache und dem Verständnis der jüdischen religiös-kulturellen Binnenwelten eine besondere Bedeutung zu, also einer judaistischen Fundierung des geschichtswissenschaftlichen Arbeitens. Eine selbstverständliche Einsicht war das in der einschlägig interessierten deutschen Geschichtswissenschaft damals noch nicht.
Die Berufung auf eine Professur an der Gerhard-Mercator-Universität in Duisburg (1997) bedeutete auch insofern einen Neuanfang, als das Studienfach Judaistik hier neu aufzubauen war. Bald stellten sich Zweifel ein: Der Universität ging es erkennbar nicht gut, und den Geisteswissenschaften besonders schlecht; die Philosophie war auf eine einzige Professur geschrumpft, andere wichtige Fächer waren kaum größer. Die Jüdischen Studien mit drei Professuren waren in einem solchen Umfeld nicht nur am falschen Platz, ihre besondere Behandlung als "Schongebiet" erschien nicht vertretbar. Die gegen große Widerstände 2002 gelungene Verlagerung der Duisburger Jüdischen Studien an die Heinrich-Heine-Universität, wo mit einem anderen geisteswissenschaftlichen Umfeld und im Zusammenspiel mit der dort bereits etablierten Jiddistik sehr viel bessere Bedingungen gegeben waren, ist maßgeblich von Stefan Rohrbacher betrieben worden.
Als Forschungsvorhaben stand in Düsseldorf zunächst das DFG-geförderte deutsch-israelische Gemeinschaftsprojekt Germania Judaica im Vordergrund, das die jüdische Siedlungsgeschichte im frühneuzeitlichen Deutschland in ihren territorialgeschichtlichen Bezügen untersuchte und zugleich die jüdische Selbstorganisation in Regionalverbünden beleuchtete. In den Semesterpausen fuhr Stefan Rohrbacher mehr als zehn Jahre lang mit Studierenden ins ländliche Unterfranken, um einen alten Friedhof mit mehr als eintausend hebräischen Grabinschriften zu dokumentieren. Es war nie schwer, für diese Wochen harter Arbeit "im Feld" freiwillige Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu finden.
In der Philosophischen Fakultät war Stefan Rohrbacher u.a. als langjähriges Mitglied des Fakultätsrats und im Promotionsausschuss aktiv. In seine Zeit als Prodekan fiel 2012/13 die Plagiatsaffäre um die Doktorarbeit der damaligen Bundeswissenschaftsministerin - für die Fakultät wie die gesamte Hochschule eine gewaltige Belastungsprobe. Auch die persönlichen Belastungen durch das öffentlich skandalisierte Verfahren der Fakultät, in dem Stefan Rohrbacher als Verfasser des Sachberichts besonders im Fokus stand, waren erheblich; zeitweise lebte die Familie unter Polizeischutz. Erst mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts, das im März 2014 die Befunde des Sachberichts vollumfänglich bestätigte, der Fakultät ein in jeder Hinsicht einwandfreies Verfahren bescheinigte und die Aberkennung des Doktorgrades für rechtmäßig erklärte, trat eine wirkliche Beruhigung ein.
Auch außerhalb der Heinrich-Heine-Universität hat sich Stefan Rohrbacher stets in Gremien und Verbänden engagiert, so als Vorsitzender des Verbandes der Judaisten in Deutschland, im Vorstand der Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte der Juden, aber auch als Vorsitzender des Gemeinderates und Mitglied des Vorstands der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.
Der Eintritt in den Ruhestand bedeutet den Abschied von den Studierenden und von vielen vertrauten Kolleginnen und Kollegen. Mehr Zeit bleibt nun für die Familie, für die Imkerei und für die Ziegenzucht. Und für ein Buch, das noch geschrieben werden will.