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News-Detail

Physik: Veröffentlichung in Nature Communications
Reibung, die kühlt

Viele runde Mikroroboter auf einer weißen Platte. Jeder von ihnen ist kreisförmig, hat eine schwarze Oberfläche mit einem weißen Punkt und kleine, geknickte Beinchen. Zoom

Viele kleine Mikroroboter wuseln am Institut für Theoretische Physik II der HHU herum. (Foto: HHU / Anton Ldov und Arnaud Fabian Romain Compagnie)

Reibung erzeugt Wärme, dies weiß jeder instinktiv, der sich im Winter die Hände reibt. Reibung kostet auch Energie: Fahrzeugreifen reiben an der Straße, die Autos werden so kontinuierlich langsamer, wenn nicht wieder Gas gegeben wird. Liegen zwei Festkörper aufeinander, so bewegen sie sich nicht, auch wenn sie leicht geneigt werden: Die Haftreibung hält sie aneinander. Sie rutschen erst, wenn ein kritischer Neigungswinkel erreicht ist, so dass die resultierende Antriebskraft die Reibung überwindet. Physiker sprechen hierbei von „trockener“ (es gibt kein Schmiermittel) Haftreibung oder auch von Coulombreibung. 

Das Gegenspiel von Coulombreibung und Bewegung ist in vielen Anwendungsszenarien wichtig. Beispielsweise bei geschüttelten Getreidekörnern, die aus einem Silo fließen sollen – hier ist die Antriebskraft oder „Aktivität“ nicht konstant, sondern fluktuiert. Dies führt zu einer komplizierten Stop-and-Go-Bewegung: Ein Teilchen gerät in Bewegung, bis es durch eine ungünstige Fluktuation gebremst und durch die Haftreibung zum Stillstand gebracht wird, um bei der nächsten günstigen Fluktuation wieder in Gang zu kommen. Die Physik sieht ein ruhendes Teilchen als „kalt“ an, ein sich bewegendes Teilchen als „heiß“. Die Haftreibung kühlt also letztendlich die aktiven Teilchen.

Physiker um Prof. Dr. Hartmut Löwen vom Institut für Theoretische Physik II der HHU untersuchten zusammen mit Prof. Dr. Lorenzo Caprini aus Rom das Verhalten von vielen solcher aktiver Objekte. Dazu wuseln in einem Demonstrationsexperiment in der Düsseldorfer Physik viele Hundert 3D-gedruckte Miniroboter herum, angetrieben durch eine vertikal vibrierende Platte. 

Bei ihrer Bewegung stoßen die Roboter ständig aneinander. Bei hoher Belegdichte und geringer Antriebskraft nahe der Schwelle schlägt die Haftreibung während der Stöße zu und kann immer wieder die kollidierenden Teilchen stoppen. Im Laufe der Zeit entstehen so Cluster, in denen sich die Roboter nicht mehr bewegen, also „kalt“ sind.

„Interessanterweise ergibt sich eine gemischte Situation mit großen Clustern, die sich dynamisch ändern“, betont Prof. Löwen: „Kalte Bereich koexistieren mit heißen Bereichen. Dies ist im Gleichgewicht unmöglich, denn dort würden sich solche Temperaturunterschiede durch Stöße sofort ausgleichen“.

Dieses Verhalten wird durch einen Wettstreit zwischen Aktivität und Coulombreibung induziert. In umfangreichen Modellsimulationen an der HHU, die das Experiment getreu abbilden, fand Studienerstautor Dr. Alexander Antonov ein ähnliches Verhalten, solange ein Schwellenverhalten zugrunde liegt: „Uns ist gelungen, wovon viele theoretische Physiker träumen – den physikalischen Mechanismus hinter einem experimentellen Phänomen zu verstehen und diesen anschließend mit numerischen Simulationen am Computer nachzubilden.“ 

Prof. Caprini, Korrespondenzautor der Studie, ist optimistisch, was zukünftige Anwendungen angeht: „Wichtig ist, dass man nicht von außen eingreifen muss, um das System abzukühlen. Die Roboter kühlen sich vielmehr selbst durch Stöße ab.“  

Ähnlich sieht es auch Prof. Löwen beim Blick auf Anwendungsszenarien: „In Zukunft ist dieser unerwartete Abkühleffekt möglicherweise nutzbar, um ganze Heerscharen von Robotern und das kollektive Verhalten von Schüttgütern automatisch ohne externe Einwirkung zu steuern.“ 

Originalpublikation

Alexander P. Antonov, Marco Musacchio, Hartmut Löwen & Lorenzo Caprini. Self-sustained frictional cooling in active matter. Nature Communications 16:7235 (2025). 

DOI: 10.1038/s41467-025-62626-9

Autor/in: Arne Claussen
Kategorie/n: Schlagzeilen, Pressemeldungen, Math.-Nat.-Fak.-Aktuell
Draufsicht der Mikroroboter (links), Bewegungsanalyse (rechts) und Detailskizze der Mikroroboter (unten). Zoom

Versuchsanordnung und Analyse. Links sind in Draufsicht die herumwuselnden Roboter zu sehen; die weißen Punkte zeigen ihre Bewegungsrichtung. Rechts sind die Teilchen gemäß ihrer Geschwindigkeit eingefärbt: schnelle (heiße) Teilchen sind rot, langsame (kalte) blau. Der experimentelle Schnappschuss zeigt, dass ein Cluster kalter Teilchen mit einer Umgebung aus heißen Teilchen koexistieren kann. Der Bildausschnitt unten zeigt die Seitenansicht der Roboter. (Abbildung: HHU / Marco Musacchio)