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Blick von hinten auf eine Person, die einen Einkauswagen schiebt.

Politischer Konsum im Alltag: Mit Citizen Science Informationsgrundlagen, Motive und Aktivitäten politischer Konsument*innen verstehen

Ein Forschungsprojekt aus dem Institut für Sozialwissenschaften

Seit einigen Jahren laden viele Bürger*innen ihr Alltagshandeln politisch auf. Dies wird insbesondere beim Konsum deutlich, wie zahlreiche Beispiele belegen: Viele Bürger*innen greifen zu palmölfreien Produkten, um etwas gegen die Abholzung des Regenwaldes zu unternehmen. Andere boykottierten aufgrund der Menschenrechtsverletzungen in Katar die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 oder gaben an, ihre Rezeption der Spiele erheblich einschränken zu wollen. Wiederum andere folgen Aufrufen unterschiedlicher Organisationen und boykottieren aus politischen Gründen Produkte, die aus bestimmten Ländern stammen. In all diesen Fällen werden Konsument*innen zu politischen Konsument*innen.

Politischer Konsum kann gemäß der gängigen Definition von Stolle und Micheletti (2013) verstanden werden als „consumers’ use of the market as an arena for politics in order to change institutional or market practices found to be ethically, environmentally, or politically objectionable” (S. 39). Politischer Konsum ist in westlichen Demokratien inzwischen eine der am häufigsten angewendeten nicht-elektoralen Formen politischer Partizipation. In der Forschung hat sich die Unterteilung des politischen Konsums in vier Formen etabliert (Boström et al., 2019; Stolle & Micheletti, 2013):

  1. Boykott: Bewusster Verzicht auf den Konsum bestimmter Produkte oder Dienstleistungen aus politischen, ethischen oder ökologischen Gründen;
     
  2. Buykott: Bewusster Konsum bestimmter Produkte oder Dienstleistungen aus politischen, ethischen oder ökologischen Gründen;
     
  3. DiskursiveAktivitäten: Versuche, andere Personen zu politisch, ethisch oder ökologisch „besserem“ Konsum zu motivieren;
     
  4. Lebensstiländerung: Veränderung des privaten Lebensstils aus politischen, ethischen oder ökologischen Gründen (z. B. Veganismus, Vermeidung von Flugreisen).

Die Forschung zu politischem Konsum ist vielfältig, hat aber verschiedene Forschungslücken. Die Forschung konzentriert sich vor allem auf die USA, Studien aus Deutschland sind eher selten. Durchgeführt werden meist standardisierte Befragungen. Die bislang entwickelten Messinstrumente werden allerdings kritisiert, unter anderem, da sie zu wenig berücksichtigten, dass politischer Konsum alltäglich durchgeführt werden kann (z. B. Gundelach, 2020). So lassen sich auf Basis vorliegender Untersuchungen zwar Angaben dazu machen, wie viele Personen in einzelnen Ländern als politische Konsument*innen gelten können (als solche werden sie meist bezeichnet, wenn sie laut Selbstauskunft zumindest ein­mal im Jahr etwas aus politischen, ethischen oder ökologischen Gründen boykottieren/buykottieren). Weitgehend unklar ist allerdings, welche Rolle politischer Konsum im Alltag von Bürger*innen spielt, beispielsweise welche konkreten Produkte oder Dienstleistungen aus welchen Gründen in ihrem Fokus sind. Wenig Wissen liegt zudem darüber vor, wie häufig Bürger*innen mit Informationen oder Personen in Kontakt kommen, die ihre politischen Konsumaktivitäten beeinflussen, und ob hierbei beispielsweise medial vermittelte Hinweise von Journalist*innen, Expert*innen oder Aktivist*innen oder Hinweise von persönlich bekannten Menschen eine wichtigere Rolle spielen.

Offen ist zudem, was Bürger*innen unter politischen Konsum verstehen, inwiefern sie (eigene) politische Konsumentscheidungen reflektieren und ob sie zum Beispiel zwischen einem aus ihrer Sicht „guten“ und „problematischen“ politischen Konsum unterscheiden. Relevant ist dies vor dem Hintergrund, dass politischer Konsum zwar häufig als eine aus unterschiedlichen Gründen wünschenswerte Aktivität aufgefasst wird (z. B. der Kauf umweltfreundlicher Produkte als Beitrag zur Klimarettung), politischer Konsum aber beispielsweise auch von dem Willen getrieben sein kann, einzelnen Personengruppen zu schaden (z. B. politisch motivierter Boykott von Waren, die von bestimmten Bevölkerungsgruppen verkauft werden), oder nicht-intendierte negative Folgen haben kann.

Das Projekt Politischer Konsum im Alltag soll dazu beitragen, diese und andere Forschungslücken zu schließen. Die Gesamtfragestellung lautet: Wie und aufgrund welcher Informationsgrundlage sowie Motivation konsumieren Bürger*innen in ihrem Alltag politisch?

Das Projekt wird als Citizen-Science-Projekt durchgeführt und wird von der Bürgeruniversität der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gefördert. Das Projekt ist auf 24 Monate ausgelegt und ist im ersten Quartal 2024 gestartet. Im Zentrum des Projektes stehen zwei Studien, die gemeinsam mit Bürger*innen konzipiert, durchgeführt und analysiert werden: eine Tagebuchstudie sowie eine bevölkerungsrepräsentative Befragung. Die Tagebuchstudie wurde bereits durchgeführt. Konkret wurden Bürger*innen gebeten, über einen Zeitraum von etwa drei Wochen Einblicke in ihren (politischen) Konsumalltag zu geben. Die Ergebnisse zeigen, dass die 134 Tagebuchteilnehmer*innen im Schnitt bei jedem zweiten Einkauf politische, ethische oder ökologische Gründe berücksichtigt haben. Viele hätten zudem gern häufiger politisch eingekauft, auch weil sie politischen Konsum als wirksame Form der politischen Beteiligung wahrnehmen. Die eigene Gewohnheit und fehlende Produkt- und Dienstleistungsalternativen standen ihnen aber aus ihrer Sicht im Weg.

Aufbauend auf den Resultaten der Tagebuchstudie ist für das Jahr 2025 die Durchführung der standardisierten Befragung geplant. Hier soll eine Stichprobe befragt werden, die in ihrer Zusammensetzung repräsentativ für die in Deutschland lebende Bevölkerung ist. Teil des Projekts sind zudem öffentliche Veranstaltungen, in der gemeinsam mit den Citizen Scientists die Ergebnisse der Studien präsentiert werden sollen. Darüber hinaus finden verschiedene Workshops mit den Citizen Scientists statt, in denen Grundlagen zum Thema politischer Konsum sowie zum sozialwissenschaftlichen Arbeiten vermittelt werden und außerdem die Konzeption der Studien sowie die Analyse und Besprechung der Studienergebnisse im Vordergrund stehen.

Projektverantwortliche:  Dr. Ole Kelm / PD Dr. Marco Dohle, Institut für Sozialwissenschaften

Projektlaufzeit: Januar 2024 bis Dezember 2025

Weitere Informationen: www.sozwiss.hhu.de/politischer-konsum

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