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Grafik der Erde mit verschiedenen Social Media Symbolen. Im Hintergrund Porträtbilder von Menschen

Die Nutzung digitaler Medien sowie Informations- und Kommunikations-
technologien von Personen mit Fluchthintergrund: Neues Leben – andere Informationen?

Ein Forschungsprojekt aus dem Institut für Sprache und Information, Abteilung für Informationswissenschaft

Menschen mit Fluchthintergrund lassen in ihrem Heimatland ihr bisheriges Leben zurück. In ihrem Ziel- und Aufnahmeland begegnen sie einer fremden Sprache und Kultur und notwendigerweise passt sich ihr Informationsbedarf und -verhalten sowie die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und digitalen Medien den neuen Umständen an. Katrin Scheibe und Franziska Zimmer, beide wissenschaftliche Mitarbeiterinnen aus dem Institut für Sprache und Information, Abteilung für Informationswissenschaft, gehen in ihrer englischsprachigen Monographie „Asylees‘ ICT and Digital Media Usage: New Life – New Information?“ dem Informations- und Medienverhalten von Personen mit Fluchthintergrund in Deutschland nach.

Schwierige Bedingungen in unterschiedlichen Ländern, seien es Krieg, drohende Verfolgung oder wirtschaftliche und andere politische Gründe, machen es für einige Menschen notwendig, ihr Heimatland zu verlassen und in einem anderen Land Schutz und Asyl zu suchen. Die Lebenssituation und Lebensumstände haben sich somit schlagartig und meist ohne Vorbereitung verändert und viele müssen sich in dem neuen sozialen und wirtschaftlichen Umfeld neu orientieren. Einige der Geflüchteten sind von ihren Familienmitgliedern getrennt, versuchen neue soziale Kontakte zu knüpfen und mit ihren Bekannten und Verwandten in Verbindung zu bleiben. Sie müssen eine neue Sprache erlernen, um den Alltag im Zielland zu bewältigen und Arbeitsmöglichkeiten zu finden. Dabei spielen das Smartphone und die sozialen Medien bereits während der Flucht eine wichtige Rolle und dienen beispielsweise zum Kontaktieren von Freunden und Familie1 oder als Navigations- und Übersetzungstool2. Auch bei der Integration von Asylsuchenden in die neue Gesellschaft sind sowohl Smartphones als auch digitale und soziale Medien ein wichtiger Aspekt3.

Mit den Veränderungen gehen auch viele Fragen einher: verändern sich die Informationspraktiken und das Informationsverhalten von Personen mit Fluchthintergrund, wenn die Umstände an ein neues Umfeld angepasst werden müssen? Welche IKT, digitalen und sozialen Medien verwenden diese Menschen in Deutschland und welche Informationen benötigen sie? Zur Beantwortung dieser Fragen wendeten Scheibe und Zimmer mehrere Methoden für die Datenerhebung ihrer Monografie an: ein Online-Fragebogen und Interviews zur Befragung von Asylsuchenden sowie die Inhaltsanalyse eines Online-Forums für Fragestellungen von Personen mit Fluchthintergrund.

Mediennutzung: Vermehrte Nutzung von Social Media

Die Ergebnisse (Tabelle 1) 4 zeigen, dass Social Media wie YouTube (81,20%), Facebook (69,60%) oder Instagram (58,00%) in Deutschland vermehrt genutzt werden. Betrachtet man Online-Medien, so werden auch E-Mails (82,60%) und Übersetzungsdienste (78,30%) von mehr Asylsuchenden genutzt, seitdem sie in Deutschland leben. Ähnlich verhält es sich mit der Nutzung des Smartphones (75,40%).

Die Bedeutung des Smartphones wurde während der Interviews immer wieder hervorgehoben: „Was soll ich auf dem Laptop machen, was ich auf dem Smartphone nicht kann?“, fragte ein Mädchen (IP28). „Ich schaue mir keine Filme im Fernsehen an, meistens benutze ich dafür mein Smartphone oder meinen Laptop“, erklärte ein befragter Junge (IP26). Diese Aussagen unterstreichen die Bedeutung von Smartphones, insbesondere im Gegensatz zu anderen IKT wie dem Fernseher, Computer oder Laptop. Weitere befragte Personen teilen diese Meinung: „Alles ist auf dem Smartphone, YouTube, Nachrichten, Informationen, einfach alles“, erklärte ein Teilnehmer (IP1). Ein Weiterer (IP4) äußerte: „Man kann alles auf dem Smartphone machen, warum sollte man etwas Anderes benutzen.“

Neben den positiven Assoziationen, existieren aber auch kritische Gedanken zur Nutzung von Smartphone und Medien: „Ich habe keine Freizeit, um Medien zu nutzen, ich brauche die Zeit, um mich um meine Kinder zu kümmern und Deutsch zu lernen“, so ein Vater (IP7). „Wenn die Kinder schlafen, kann ich mein Smartphone benutzen und habe ein bisschen Freizeit“, bestätigte eine Mutter (IP14). Ein Mann (IP25) unterstrich sogar: „In Syrien habe ich viel mit meinem Smartphone gespielt, jetzt, in Deutschland, interessiert es mich nicht mehr“.

Tabelle 1. Auszug der Ergebnisse: Top 10 der verwendeten IKT, Social Media und Online sowie Traditionellen Medien (N = 69).4

Rang IKT, Social Media, Online
und Traditionelle Medien
Absolute Häufigkeit Relative Häufigkeit Nutzung im Heimatland Nutzung in Deutschland
1. YouTube 64 92,80% 68,10% 81,20%
2. E-Mail 59 85,50% 63,80% 82,60%
3. Facebook 57 82,60% 52,20% 69,60%
4. Übersetzungsdienst 54 78,30% 55,10% 78,30%
5. Smartphone 53 76,80% 73,90% 75,40%
6. Suchmaschinen 47 68,10% 66,70% 65,20%
7. Computer/ Laptop/ Notebook 47 68,10% 63,80% 62,30%
8. Messaging Dienst 42 60,90% 55,10% 58,00%
9. Bücher 37 53,60% 50,70% 49,30%
10. SMS 35 50,70% 46,40% 43,50%

Das Hilfe-Forum Wefugees als Anlaufstelle für Fragen von Personen mit Fluchthintergrund

Das Hilfe-Forum ‚Wefugees‘ ist eine offene und interaktive Online-Plattform, das Geflüchteten bei ihrem Informationsbedarf zu verschiedenen Themen unterstützen möchte, insbesondere was den Komplex des Ankommens und Lebens in Deutschland betrifft. Die Plattform bietet Personen die Möglichkeit, Fragen zu stellen und Antworten anhand von bereits gestellten Fragen anderer Nutzer zu finden. Die Fragen werden von geschulten, freiwilligen Personen beantwortet.

Wefugees bietet vorgegebene Kategorien zur Einordnung der Frage in die Bereiche (absteigend sortiert mit Angabe der Anzahl an Fragen; Stand: 01. Juni 2022) 4 Rechtsberatung (1.756), Asylverfahren (980), Andere Fragen (359), Bildung (339), Arbeit (265), Haus und Wohnen (236), Informationen und Angebote (103), Aktivitäten (81), Geld (60), Gesundheit (57) und ‚Wie kann ich helfen?‘ (33). Da die Kategorien bereits die angesprochene Themengebiete der gestellten Fragen vorgeben, bezieht sich die von Scheibe und Zimmer durchgeführte Inhaltsanalyse auf die Kategorie „Andere Fragen“. Nachgegangen wurde insbesondere den Thematiken, welche Fragen sich Asylsuchende in einem Online-Forum stellen, welche Inhalte für sie von Interesse sind und in welchen Situationen sie Hilfe benötigen.

Die Verteilung der verschiedenen Inhaltskategorien im Bereich „Andere Fragen“ des Wefugees-Forums zeigt insbesondere einen großen Bedarf an Unterstützung in Bezug auf Dokumente und das Asylverfahren (Tabelle 2) 4. In dieser Kategorie sind mit fast 44 % die mit Abstand höchste Anzahl an Fragen identifiziert worden. Auch während der Interviews der beiden Autorinnen mit den asylsuchenden Personen wurde häufig erwähnt, dass juristische Schreiben schwer zu verstehen seien, so dass es nicht überrascht, wenn im Internet dazu recherchiert wird. Ebenso kommen Fragen zu den Bereichen Anstellung und Jobs sowie Medien und Heirat vermehrt vor. In der Kategorie ‚Anstellung und Jobs‘ geht es häufig um Aspekte, die mit dem Asylstatus selbst zusammenhängen, wie beispielsweise, ob abgelehnte asylsuchende Personen in Deutschland arbeiten dürfen oder ob bei einer Duldung ein Gewerbeschein erlaubt ist.

Die Inhalte der Kategorie ‚Medien‘ beziehen sich auf IKT wie Handys, den Computer und mobile Medien wie YouTube, Webseiten oder Apps. Dabei interessierte einige Asylsuchende zum Beispiel die Frage, wo günstige Mobiltelefone erhältlich sind.

Bei dem Thema ‚Heirat‘ geht es um Dokumentenfragen, beispielsweise die Frage nach einer Eheschließung mit einer Person, die keinen Asylstatus besitzt bzw. deren Antrag abgelehnt wurde. So heißt es etwa: „Ich bin ein Flüchtling in München, Deutschland. Ich habe eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. Ich möchte meine Freundin heiraten, aber sie ist ein Flüchtling ohne Papiere und lebt in einem französischen Asylbewerberheim. Wie kann ich meine Freundin heiraten, damit wir beide zusammen in Deutschland leben können?“

Weitere Fragen beschäftigen sich mit Reisen, Sprache, Institutionen, Studium, Sorgerecht, Geld, Unterkunft, Integration in die deutsche Kultur und Dinge des alltäglichen Bedarfs.

Tabelle 1. Auszug der Ergebnisse: Top 10 der verwendeten IKT, Social Media und Online sowie Traditionellen Medien (N = 69).4

Rang Kategorie Absolute Häufigkeit Relative Häufigkeit
1. Dokumente und Asylverfahren 61 43,88%
2. Anstellung und Jobs 19 13,67%
3. Medien 18 12,95%
4. Heirat 17 12,23%
5. Reisen 10 7,19%
6. Sprache 9 6,47%
6. Institutionen 9 6,47%
6. Studieren 9 6,47%
7. Sorgerecht 8 5,76%
8. Geld 7 5,04%
9. Unterkunft 5 3,60%
9. Integration in die deutsche Kultur 5 3,60%
10. Dinge des alltäglichen Bedarfs 4 2,88%

Smartphone und Online-Medien – wichtige Kommunikations- und Orientierungsmittel

Basierend auf den Ergebnissen der beiden Wissenschaftlerinnen zeigt sich, dass das Smartphone sowie die Verwendung von Online-Medien für Personen mit Fluchthintergrund ein wichtiges Mittel der Orientierung und Kommunikation und unabdingbar zum Knüpfen und Halten sozialer Kontakte sind.  Technologien wie Fernseher oder Computer werden zwar ebenfalls verwendet, sind jedoch häufig zweitrangig. Für viele Geflüchtete steht das Lernen der deutschen Sprache sowie das Kümmern um die eigene Familie im Vordergrund. Viele haben Schwierigkeiten, amtliche Briefe und Informationen über das Asylverfahren zu verstehen und suchen diesbezüglich daher online nach Informationen.

Ein Großteil der geflüchteten Personen die im Jahr 2015 einen Asylantrag gestellt haben, kommen aus dem Nahen Osten wie Syrien, Afghanistan und Irak.5 Die hier präsentierten Ergebnisse beziehen sich auf diese Personengruppe. Seit Beginn des Ukraine-Krieges im Jahr 2022 findet ein Flüchtlingsstrom aus der Ukraine innerhalb Europas statt. Wie es sich mit der Mediennutzung und dem Informationsbedarf von geflüchteten Personen innerhalb Europas verhält, ist ein Kapitel, das es zukünftig zu ergründen gilt.

Weitere detaillierte Informationen zu dem Thema finden Sie in der Veröffentlichung: https://doi.org/10.1515/9783110672022

Alternativ können Sie den Autorinnen Katrin Scheibe und Franziska Zimmer eine E-Mail senden.

Literaturnachweis:

1Gillespie, M., Osseiran, S; & Cheesman, M. (2018). Syrian refugees and the digital passage to Europe: Smartphone infrastructures and affordances. Social Media + Society, 4(1), 1-12.

2Dekker, R., Engbersen, G., Klaver, J., & Vonk., H. (2018). Smart refugees: How Syrian asylum migrants use social media information in migration-decision making. Social Media + Society, 4(1), 1-11.

3Emmer, M., Richter, C. & Kunst, M. (2016). Flucht 2.0. Mediennutzung durch Flüchtlinge vor, während und nach der Flucht. Freie Universität Berlin.

4Die gesamten Daten und Informationen des Artikels entstammen aus: Scheibe, K., & Zimmer, F. (2022). Asylees’ ICT and Digital Media Usage: New Life - New Information? Berlin, Boston: De Gruyter Saur.

­­5Eurostat Press Office. (2016). Asylum in the EU member states. Record number of over 1.2 million first time asylum seekers registered in 2015. Abgerufen am 13. Juni 2022 von: ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/7203832/3-04032016-AP-EN.pdf/790eba01-381c-4163-bcd2-a54959b99ed6


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Autorin: Andrea Rosicki

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