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Leuchtschrift: Meet me for Coffee auf braunem Hintergrund

Auf einen kurzen Kaffee mit ...

Prof. Dr. Heiko Beyer, erster Antisemitismusbeauftragter der HHU

Heiko Beyer hat in Leipzig Soziologie, Philosophie und Kulturwissenschaften studiert und 2013 an der Georg-August-Universität Göttingen promoviert. An der HHU arbeite er seit 2015, wo er sich im gleichen Jahr auch habilitiert hat. Seit April 2020 ist er Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt politische Kulturen sozialer Ungleichheiten am Institut für Sozialwissenschaften. 

Meistens trinkt er Kaffee, morgens mit mehr, nachmittags mit weniger Milch (meistens Hafer). Zucker nimmt er eigentlich nie, dafür gern ein süßes Stück Gebäck dazu. Tee ist schwieriger, meistens dann eher als Mittrinker, weil andere eine Kanne gekocht haben.  

Ich fühle mich einerseits sehr geehrt, weil dies auch eine Anerkennung der Forschung unseres Teams ist. Wir haben am Lehrstuhl in den letzten Jahren zwei Projekte zu antisemitischen Einstellungen sowie jüdischen Perspektiven auf Antisemitismus durchgeführt, die viele wichtige Erkenntnisse gebracht haben, auf denen ich meine Arbeit aufbauen kann. Andererseits spüre ich auch eine große Verantwortung gegenüber unseren jüdischen Studierenden und Mitarbeiter*innen, die angesichts der aktuellen Welle antisemitischer Übergriffe – die Zahlen judenfeindlicher Straftaten sind im ersten Halbjahr 2024 um 85 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2023 gestiegen – berechtigterweise erwarten, dass die Universität alles Menschenmögliche unternimmt, um sie zu schützen.

Abgesehen davon, dass ich auf Landes- und Bundesebene als Ansprechpartner zur Verfügung stehe, habe ich mir für meine Arbeit in Rücksprache mit der Rektorin drei Ziele gesetzt: Zunächst einmal für die Betroffenen da zu sein; sie ein Stück weit von der Bürde zu entlasten, sich allein mit antisemitischen Vorfällen herumschlagen zu müssen; mit ihnen über Maßnahmen zu sprechen, die ihnen helfen, sich wieder sicherer auf dem Campus zu fühlen. Zweitens werde ich mich mit verschiedenen studentischen und auch zivilgesellschaftlichen Gruppen – einschließlich der Düsseldorfer Jüdischen Gemeinde – zusammensetzen. Gemeinsam werden wir die aktuelle Entwicklung an der Universität besprechen und Maßnahmen beraten, um auf antisemitische Vorfälle zu reagieren und sie vor allem in Zukunft zu verhindern. Und drittens werde ich regelmäßig (gerne auch gemeinsam mit Kolleg*innen und Studierenden) Veranstaltungen organisieren, die über das Phänomen informieren, aufklären und kritische Impulse setzen sollen.

Beides. Man kann und soll mich natürlich auch kontaktieren, wenn man Antisemitismus beobachtet. 

Ich begreife mich vor allem als Ansprechpartner für das Thema Antisemitismus. Hier liegen meine Expertise und meine Verantwortung. Aber natürlich werde ich niemanden, der aufgrund anderer Merkmale diskriminiert oder beleidigt wird, wegschicken. Anfang 2025 wird die Universität eine Kontaktstelle für Fälle von Diskriminierung und Machtmissbrauch einrichten, die am Heine-Center for Sustainable Development (HCSD) angesiedelt sein wird. Diese berät in allen Fällen von Diskriminierung und sie wird darüber hinaus alle weiteren Beratungsstellen der Universität miteinander vernetzen. Vielleicht sei mir an dieser Stelle noch eine Bemerkung erlaubt, weil manche die Einrichtung des Amtes als Antisemitismusbeauftragter als einseitige Maßnahme kritisiert haben: Antidiskriminierungsarbeit ist kein Nullsummenspiel der Art, dass die Beschäftigung mit der einen Form zu einer Missachtung der anderen führt. Ganz im Gegenteil: Üblicherweise treten verschiedene Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zusammen auf, oft im Kontext von anti-pluralistischen und autoritären Einstellungen, sodass man froh sein sollte, dass die Universitäten in diesem Bereich mehr unternehmen als bisher. 

Wahrscheinlich denken viele beim Begriff Antisemitismus nach wie vor im Wesentlichen an den Vernichtungsantisemitismus der Nationalsozialisten. Und tatsächlich ist der rechte Antisemitismus noch immer eine der größten Bedrohungen für jüdisches Leben in Deutschland. Das ist unbestritten. Aber die Erscheinungsformen des Antisemitismus sind schon lange, wie die Forschung zeigt, weitaus vielfältiger als der offene rassistisch begründete Antisemitismus. Antisemitismus, auch hier ist sich die Forschung weitestgehend einig, existiert in nahezu allen gesellschaftlichen Milieus, und leider eben auch in sich als „antirassistisch“ und „progressiv“ verstehenden intellektuellen Kreisen. Ich bin politisch und akademisch so sozialisiert worden, dass Selbstkritik gegenüber dem eigenen Milieu eine Tugend und keine Schwäche ist. Wenn man es selbst nicht macht, werden es die Falschen (nämlich die Rechten, die von ihrem eigenen Antisemitismus ablenken wollen) tun.

Wir beobachten heute an den Hochschulen, dass viele Jüdinnen und Juden ihr Jüdischsein aus Angst vor Übergriffen verstecken. An einer Hochschule in Kleve wurde gegen die AStA-Vorsitzende Sharon Spievak mit den Worten Wahlkampf gemacht „Wenn ihr uns wählt, schmeißen wir die Juden aus dem AStA“. Bei einer antisemitismuskritischen Veranstaltung im Juni 2024 an der Universität Bonn wurden Besucher*innen von selbsternannten „propalästinensischen Aktivisten“ mit Fäusten geschlagen und gewürgt. Aber auch hier an der HHU wurde mit den antisemitischen Schmierereien vom Juli 2024 ein neuer Tiefpunkt erreicht und es sind Dinge passiert, die für viele vor ein paar Jahren wohl kaum vorstellbar waren. Wir müssen uns vor Augen führen, dass der moderne Antisemitismus des 19. Jahrhunderts an Universitäten entstanden ist und verbreitet wurde. Er war nie nur ein Phänomen der Ungebildeten – und er wurde übrigens auch immer schon mit den besten moralischen Gründen vorgetragen, dem Schutz der Kinder vor sogenannten „Ritualmorden“, dem Widerstand gegen fremde Mächte, die das eigene Volk bedrohen, als Antwort auf die „soziale Frage“. 

Unser Lehrstuhl-Team und ich haben durch unseren Forschungsschwerpunkt bereits engen Kontakt zu Dokumentations- und Recherchestellen wie RIAS, Beratungsstellen wie SABRA und Akteuren der politischen Bildung wie dem Netzwerk für Demokratie und Courage. So kann ich auf ein umfangreiches Netzwerk zurückgreifen, das mich sowohl beraten als auch informieren kann. Zugleich bietet es mir Möglichkeiten, Expert*innen aus der Praxis für Vorträge zu gewinnen.

Vor allem benötige ich den Rückhalt der Universitätsleitung und den spüre ich auf jeden Fall. Das Rektorat, Justitiariat und unsere Pressestelle haben mir in den ersten Wochen meiner Tätigkeit sehr dabei geholfen, ins Amt zu finden und ich habe den Eindruck, dass sie das Problem sehr ernst nehmen und wirklich etwas dagegen unternehmen wollen. Und schließlich, wie schon erwähnt, braucht es natürlich ein Netzwerk, mit dem man sich beraten kann und das umgekehrt auch über die Universität hinaus wirken kann.  

Es existiert bereits eine Vielzahl an Projekten, Lehrveranstaltungen und Aktivitäten von Kolleginnen und Kollegen, die sich mit dem Thema Antisemitismus beschäftigen. Diesbezüglich hat es bereits Vernetzungsinitiativen gegeben, die es in den kommenden Monaten zu intensivieren gilt. Was den universitären Alltag angeht, denke ich, sollte klar sein, dass wir als Universitätsgemeinschaft nur gemeinsam dafür sorgen können, dass sich Jüdinnen und Juden an unserer Universität wieder sicher fühlen, die schließlich nach einem Düsseldorfer Juden benannt ist, der aufgrund des hiesigen Judenhasses ins Pariser Exil ging. Ohne Zivilcourage und Solidarität wird das nicht funktionieren. Wichtig ist zudem, entsprechende Fälle bei mir oder (je nach Schwere des Falls) direkt beim Justitiariat zu melden. 


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Autorin: Andrea Rosicki