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Leuchtschrift: Meet me for Coffee auf lila Hintergrund

Auf einen kurzen Kaffee mit ...

Dr. Belén Santana, Fellowship am Centre for Translation Studies

Im Wintersemester 2022/23 tritt Dr. Belén Santana ein einjähriges Fellowship am CTS_dus an. Das Stipendium zur Weiterbildung von Hochschuldozenten wird durch das Next Generation Programm der EU finanziert.

Belén Santana hat Übersetzen und Dolmetschen in Madrid und Heidelberg studiert. Nach mehrjähriger Berufserfahrung als Fachtext- und Literaturübersetzerin wurde sie im Fach Translationswissenschaft an der Humboldt Universität zu Berlin mit einer Dissertation zur Übersetzung des Komischen promoviert. Seit 2003 unterrichtet sie an der Übersetzungsfakultät der Universität Salamanca und ist als freiberufliche Literaturübersetzerin tätig. Unter anderem hat sie moderne Klassiker sowie zeitgenössische Autor*innen aus den Bereichen Belletristik und Sachbuch sowie Kinderliteratur ins Spanische übertragen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Übersetzung von Humor, der Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis des literarischen Übersetzens vor dem Hintergrund der Didaktik sowie die digitale Erschließung von Bibliothekskatalogen als Grundlage für eine Kulturgeschichte des Übersetzens. 2019 wurde ihre Übertragung von Yoko Tawadas Roman Etüden im Schnee mit dem spanischen Nationalpreis für Übersetzung ausgezeichnet. Sie ist Mitglied des spanischen Literaturübersetzerverbands ACE Traductores und gehört zum Redaktionsausschuss der Zeitschrift Vasos comunicantes.

Morgens trinkt Belén Santana schwarzen Tee mit Milch und in der Kaffeepause cortado largo nach kanarischer Art, da sie auf Gran Canaria großgeworden ist.

Das Fellowship dient in erster Linie zur Weiterbildung und vor diesem Hintergrund ist es natürlich ein großes Privileg, ein Jahr am Centre for Translation Studies der HHU verbringen zu dürfen. Nicht zuletzt ist die HHU durch den Studiengang Literaturübersetzen seit über 30 Jahren, und vor allem nun auch erweitert um das CTS_dus, ein Referenzstandort für die Hochschulausbildung von literarischen Übersetzer*innen in Deutschland. Das Europäische Übersetzer-Kollegium in Straelen liegt zudem ganz in der Nähe, was ja den Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis zusätzlich erleichtert. Nach einer langen Phase mit Homeoffice und E-Learning freue ich mich auf den Austausch vor Ort zu neuen Ansätzen in Forschung und Lehre. Das breite Studienangebot der HHU ermöglicht mir auch den Blick über den Tellerrand, was für Übersetzer*innen sehr wichtig ist.

Im Moment steht nur das Thema für das Wintersemester fest, und zwar werde ich mich anhand von meiner Übersetzung von Anne Webers Annette, ein Heldinnenepos, einem Versroman, der 2021 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, mit dem Begriff des ‚Originals‘ in der Theorie und in der Praxis auseinandersetzen. Die Autorin und Übersetzerin Anne Weber schreibt und veröffentlicht ihre Texte nämlich immer in zwei Varianten ― auf Deutsch und auf Französisch. So etwas kommt nicht so oft vor und hat spannende Folgen für die Übersetzung in weitere Sprachen.

Am auffälligsten und spannendsten im Unterschied zum Spanischen und anderen romanischen Sprachen ist natürlich die Kompositionsfähigkeit des Deutschen, nicht nur bei Substantiven, sondern auch bei Verben, Präpositionen, Präfixen usw. Neulich las ich die Beschreibung einer Liebesszene in dem Buch, das ich gerade übersetze (Welten auseinander von Julia Franck): Wir träumen einander zu… tja, da sitzt man eine Weile dran, weil hier durch das Kompositum ein neues Wort erfunden wird. Auch in der Alltagsprache findet man immer wieder Wörter, die ein ganzes Weltbild in sich tragen und die ich zum Teil lustig finde, zum Beispiel Verben wie ausdiskutieren, nachvollziehen, Substantive wie Fernweh, Wanderlust, auch wunderbar lautmalerische Sinnesverben, sei es der Geräusche oder auch im Wortfeld des Lichts. Wie in diesem Beispiel, mit dem ich mich gerade befasse: Wenn in dieser Nacht […] wir das Funkeln und Flimmern und Flackern sehen.

Bei dieser Frage finde ich die Dankesrede von Adan Kovacsics als Träger des Straelener Übersetzerpreises 2022 besonders inspirierend. Er beschreibt das Übersetzen ― ich paraphrasiere ― als die Suche nach einer ideellen, unsichtbaren, unhörbaren Sprache, in der die einem Ausdrucks innewohnende Idee aufgehoben wird und die allen menschlichen Sprachen gemeinsam ist. Diese oft nur augenblickliche Erfahrung einer ideellen gemeinsamen Sprache kennen nur Übersetzer*innen und für manche ist sie vielleicht auch ihr Zuhause. Gerade in selbstbezogenen Zeiten wie unserer, wo alles kategorisiert wird und zugleich besonders sein muss, erscheint mir die Suche nach dieser Gemeinsamkeit und diese Idee der Annäherung als ausgesprochen schöne und wichtige Herausforderung.

Das ist schwer zu sagen, denn jeder Text bietet seine spezifischen Herausforderungen. Gerade schlechte Texte sind oft besonders schwierig zu übersetzen. Wenn ich aber aus meiner Erfahrung konkrete Beispiele nenne soll, denke ich an den Expressionismus von Alfred Döblin, die Landschaftsbeschreibungen von Siegfried Lenz, den hybriden Stil von Yoko Tawada, die rhythmisierte Prosa von Anne Weber, die Argumentationskraft und den Dokumentationsaufwand bei Caroline Emcke oder Navid Kermani und an die Sprachspiele im ersten Kinderbuch von Saša Stanišić ― Blitzig! Zackzackzacklig! Leopardürig!

Das ist natürlich eine sehr umfangreiche Frage. Stark vereinfacht sollte man immer von einem konkreten Fall ausgehen und sich zuerst einige Grundfragen stellen wie: Worauf beruht der Humor? An/gegen wen ist er gerichtet? Was hat er für eine Wirkung? Gibt es in der Zielsprache ähnliche Ressourcen des Komischen (sowohl sprachlich als auch kulturell) oder muss ich andere (er)finden? Welchen Spielraum habe ich als Übersetzerin? Und welche Einschränkungen? (Beim Übersetzen können Bilder zum Beispiel oft von Vorteil, aber manchmal auch eine Hürde sein.) Kreativität spielt natürlich eine Schlüsselrolle und unbedingt ist zu bedenken: manchmal braucht es den richtigen Abstand, um dem Ausgangstext treu zu sein.

Auslandskorrespondentin.

Musik, eine Meereslandschaft, spontane Gespräche mit Menschen, die nicht mit der Übersetzungswelt vertraut sind, Vorbilder wie Swetlana Geier…

Das eigene Wunderland.

Hundert Jahre Einsamkeit (im Original oder in der Übersetzung von Dagmar Ploetz).


  • Weitere spanndende Interviews aus der Reihe "Auf einen kurzen Kaffee mit..." finden Sie hier.

Autorin: Andrea Rosicki

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