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Ganz ohne Glaskugel: Das DFG-Projekt „Futurkonstruktion im Deutschen – synchron und diachron“ aus dem Institut für Germanistik möchte die Zukunft voraussagen

Das Düsseldorfer DFG-Projekt “Futurkonstruktionen im Deutschen – synchron und diachron” greift einige der in der Forschungsliteratur kontrovers debattierten offenen Fragen zur Durchsetzung der im deutschen Sprachgebrauchs üblichen Nutzung von „werden“ in Verbindung mit dem Infinitiv auf und versucht, einer Antwort näher zu kommen. Dafür wertet das Projektteam bestehend aus Lena Schnee, Prof. Dr. Stefan Hartmann sowie den Hilfskräften Julian Miedl und Celina Paas vom Institut für Germanistik, Abteilung Germanistische Sprachwissenschaft, Daten aus dem Mittelhochdeutschen, dem Frühneuhochdeutschen und dem Neuhochdeutschen aus.

Wenn wir über die Zukunft reden, können wir das auf verschiedene Art und Weise tun: Wir können zum Beispiel sagen „Ich werde morgen einkaufen gehen“ – oder einfach „Ich gehe morgen einkaufen“. Im letzteren Fall liegt ein sogenanntes futurisches Präsens vor, im erstgenannten Fall sprechen wir von der werden + Infinitiv-Konstruktion, die den meisten einfach als “Futur” bekannt sein dürfte. Ob es sich tatsächlich um ein Futur im engeren Sinne handelt, wird kontrovers diskutiert – manche Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass werden + Infinitiv in erster Linie andere Funktionen erfüllt, etwa die Markierung des (subjektiven) Standpunkts der Sprecherin, die in nicht-futurischen Sätzen wie „Sie wird wohl gerade zu Hause sein“ besonders deutlich wird. Hinzu kommt, dass besonders im alltäglichen Sprachgebrauch ganz überwiegend das futurische Präsens verwendet wird, um auf zukünftige Ereignisse Bezug zu nehmen und eben nicht die "Futur" -Konstruktion werden + Infinitiv.  Dieser markante Unterschied zwischen Schriftsprache und gesprochener Sprache bildet auch einen Bezugspunkt zu dem Schwerpunktbereich Mündlichkeit am Institut für Germanistik.

Sprachhistorisch gesehen ist werden + Infinitiv eine relativ junge Konstruktion. In zukunftsbezogenen Kontexten konkurriert sie in früheren Sprachstufen des Deutschen unter anderem mit Modalverbkonstruktionen wie sollen + Infinitiv oder wollen + Infinitiv – also solchen Konstruktionen, die sich in vielen anderen Sprachen als Futurmarker durchgesetzt haben, etwa im Englischen mit will/shall. Über die Frage, warum – und wie – sich ausgerechnet werden + Infinitiv durchsetzte, wurde ebenfalls schon viel diskutiert, ohne dass sich ein wirklicher Konsens abzeichnen würde.

Mit der Auswertung umfangreicher Daten dem Futur auf der Spur

Das Düsseldorfer DFG-Projekt “Futurkonstruktionen im Deutschen – synchron und diachron” greift einige der in der Forschungsliteratur so kontrovers debattierten offenen Fragen auf und versucht, einer Antwort zumindest etwas näher zu kommen. Dafür werden linguistische Korpora genutzt, also Sammlungen authentischer Sprachdaten. Diese neuen Datensammlungen zeichnen sich unter anderem durch ihren Umfang aus – es stehen heute viel mehr Sprachdaten zur Verfügung, als die meisten früheren Untersuchungen berücksichtigen konnten. Außerdem sind sie mit zahlreichen sprachlichen Informationen und Metadaten angereichert und vielseitig durchsuchbar. Das Projektteam von Lena Schnee, Stefan Hartmann und den Hilfskräften Julian Miedl und Celina Paas wertet Daten aus dem Mittelhochdeutschen (ca. 1050 bis 1350), dem Frühneuhochdeutschen (ca. 1350 bis 1650) und dem Neuhochdeutschen aus, wobei mit dem an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) entstandenen Corona-Korpus auch eine hochaktuelle Datenquelle angezapft wird.

Das Projekt gliedert sich in zwei Teile: Einerseits wird untersucht, wie sich werden + Infinitiv im Laufe der Zeit entwickelt hat und welche Rolle es im Vergleich zu anderen Futurmarkern spielt. Andererseits wird die gegenwartssprachliche Konkurrenz zwischen werden + Infinitiv und futurischem Präsens in den Blick genommen. Dabei werden auch statistische Modelle entwickelt, die “voraussagen”, wann welche Futurkonstruktion verwendet wird, um auf diese Weise den (relativen) Einfluss einzelner Faktoren herauszuarbeiten. Beispielsweise spielt die Modalität eine Rolle (handelt es sich um gesprochene oder geschriebene Sprache), aber auch die zeitliche Distanz und möglicherweise auch das Maß, zu dem eine Sprecherin oder ein Sprecher davon überzeugt ist, dass ein bestimmtes Ereignis eintreten wird.


Fünf Fragen - Fünf Antworten

Im Gespräch: Lena Schnee und Stefan Hartmann, Mitarbeitende des DFG-Forschungsprojekts „Futurkonstruktion im Deutschen – synchron und diachron“

In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurden umfangreiche Sammlungen von Sprachdaten erstellt, die sich zum Ziel setzen, den Sprachgebrauch einer bestimmten Zeitspanne möglichst repräsentativ abzubilden. Man spricht hier auch von Referenzkorpora. Wir arbeiten unter anderem mit den Referenzkorpora fürs Mittelhochdeutsche und Frühneuhochdeutsche sowie fürs Mittelniederdeutsche.

Die Korpora, die wir verwenden, sind bereits mit umfangreichen Annotationen versehen, also mit zusätzlichen Informationen zum Beispiel zur Wortart jedes einzelnen Wortes. Auch gibt es unterschiedliche Transkriptionsebenen – so gibt es in vielen der Korpora neben den Originaltexten auch eine zum Neuhochdeutschen hin normalisierte Ebene. Das vereinfacht die Suche nach einzelnen Wörtern und Wortfolgen erheblich, denn da es in früheren Sprachstufen des Deutschen noch keine standardisierte Rechtschreibung gab, variieren die Schreibvarianten erheblich: So finden sich für werden im Mittelhochdeutschen u.a. die Varianten vverden, uuerden, wͦrden,  ŵrden, werdín, wërden und viele andere.

Für die Untersuchung der Alternation zwischen werden + Infinitiv und futurischem Präsens im Gegenwartsdeutschen haben wir uns für das Corona-Korpus entschieden, weil wir davon ausgehen, dass darin häufig über die Zukunft geredet wird. Das kennen wir ja aus der eigenen Erfahrung: Wenn wir über Corona sprechen, dann reden wir oft auch darüber, welche Entwicklungen wir als nächstes erwarten und vor allem auch, wie eine Zeit “nach Corona” aussehen könnte. Zudem enthält das Korpus eine große Bandbreite an unterschiedlichen Textsorten, sodass wir auch überprüfen können, ob sich die Verteilung der Varianten zwischen unterschiedlichen Textsorten unterscheidet.

In der populären Sprachkritik gibt es oft die Annahme, dass Sprache irgendwie logisch sei. Vor diesem Hintergrund müsste man annehmen, dass, wenn man auf die Zukunft Bezug nimmt, nur die Futur-Form die grammatikalisch Richtige sei. Doch wer sich wissenschaftlich mit Sprache auseinandersetzt, merkt schnell: so logisch ist Sprache in vielen Fällen gar nicht. Das liegt daran, dass Sprache historisch gewachsen ist und dass sie im Alltag meist nicht den Zweck erfüllen muss, den sie z.B. in der Wissenschaft erfüllt, nämlich Dinge möglichst präzise und eindeutig zu beschreiben. Vielmehr erfüllt Sprache kommunikative und damit letztlich zwischenmenschliche Zwecke. Und so gibt es “richtig” und “falsch” auch viel seltener, als uns das der Schulunterricht glauben lässt. Das gilt auch und gerade für das Futur, bei dem, wie oben erwähnt, gar nicht mal unumstritten ist, ob es eines ist: Ich gehe ins Kino ist genauso informativ und daher genauso “richtig” wie Ich werde ins Kino gehen.

Es gibt eine Website, die in unregelmäßigen Abständen aktualisiert wird und auf der wir z.B. Publikationen und Vorträge zur Verfügung stellen werden.


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