Forschung mit und von Studierenden
Studentische Tagung zu den erzählerischen Potentialen von Fanfiction am Institut für Germanistik
Fanfiction als eine von Fans erstellte Fortschreibung eines fiktionalen Romans, Films oder Computerspielen ist kein Phänomen, das erst seit dem Internet existiert. Schon seit den 1980er Jahren wurden Fans mit ihrem subversiven Potential entdeckt. Im Weitererzählen von kanonischem Material lassen Fanfiction-Autor*innen oft eigene, private Inhalte einfließen, die Stories erhalten so eine Dimension einer unterstützenden Identitätsentwicklung und Selbstfindung. Die beiden Literaturwissenschaftlerinnen Ann-Marie Riesner M.A. und Sabrina Huber M.A. vom Institut für Germanistik untersuchten dieses Phänomen im Rahmen der studentischen Tagung „Self-insert into the canon: Öffentliches und privates Erzählen in Fanfiction“ im Oktober 2021 an der Heinrich-Heine-Universität.
Fanfiction als Forschungsgegenstand der Literaturwissenschaft
Unter Fanfiction kann man eine von Fans erstellte Fortschreibung eines fiktionalen Originalwerks wie eines Romans, Films oder Computerspiels verstehen. In diese Variationen und Weitererzählungen von kanonischem Material lassen Fanfiction-Autor*innen häufig eigene, private Inhalte einfließen. Aus dem daraus entstehenden Experimentierfeld können eigene Probleme und Erfahrungen wie beispielsweise sexuelle Orientierung, ethnische Herkunft und Mental Health exemplarisch an bekannten Charakteren oder Settings durchgespielt werden. Die Themen werden in den Kommentarbereichen der Online-Fanfictions weiterverhandelt und die Autor*innen äußern sich oftmals sehr persönlich. Fanfiction erhält auf diese Weise nicht nur eine spielerische, interaktive Seite, sondern auch eine Dimension, die Prozesse der Identitätsentwicklung und Selbstfindung sichtbar unterstützt.
Doch nicht nur Fans transformieren (kanonische) Texte, die Texte transformieren auch die Fans, denn die um- und weitergestalteten Texte wirken sich auch auf das Leben der Fanfiction-Schreiber*innen und Leser*innen aus. Innerhalb von Communities wird über die Fanfiction-Texte diskutiert, persönliche Themen wie auch gesellschaftlich relevante Inhalte erhalten durch sie eine Stimme. Oftmals geschieht dieses mittels des Erzählelements ›Self-Insert‹: eine Ebenenüberschreitung, bei der die Grenze zwischen Erzähltem und Erzählen bzw. Erzählenden, und beiden Welten, überschritten wird. Der Fan begibt sich selbst in die Geschichte, indem er oder sie sich als neuen Charakter der erzählten Welt schöpft oder bekannte Protagonisten eigene Erfahrungen erleben lässt. Fanfiction-Texte befinden sich also im Zwischenraum zwischen Eigenem und Fremden, zwischen Privatheit und Öffentlichkeit und damit auch zwischen individuellem und kollektivem Erzählen.
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„Fanfiction als Forschungsgegenstand ist wegen vielen Dingen interessant. Man kann die unterschiedlichsten Forschungsfelder daran bedienen. Gerade weil die Kommunikation zwischen Autor*innen und Leser*innen so viele Aspekten beeinflussen kann, macht es das Feld so vielfältig. Außerdem handelt es sich um einen Literaturzweig, der nicht kommerziell ist, allerdings aus einem meist kommerziellen Zweig entspringt, was ein ziemlich interessanter Punkt ist."„Fanfiction als Forschungsgegenstand ist wegen vielen Dingen interessant. Man kann die unterschiedlichsten Forschungsfelder daran bedienen. Gerade weil die Kommunikation zwischen Autor*innen und Leser*innen so viele Aspekten beeinflussen kann, macht es das Feld so vielfältig. Außerdem handelt es sich um einen Literaturzweig, der nicht kommerziell ist, allerdings aus einem meist kommerziellen Zweig entspringt, was ein ziemlich interessanter Punkt ist."
- Angela Klitsch, Studentin der Germanistik und Kunstgeschichte -
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Studierendentagung: Forschungsdrang und Tagungsluft
In die Seminar- und Abschlussarbeiten von Studierenden fließen häufig Expertisen aus der eigenen privaten Beschäftigung mit Texten und Medien mit ein, gerade wenn Studierende sich über Jahre in gewissen Subkulturen bewegt haben. „Dass Studierende genuine Forschungsleistungen erbringen, geschieht meines Erachtens insbesondere bei sehr neuen Themenbereichen, die oft Digitalisierung, Technik, Handlungen in der Virtualität oder den Sozialen Medien betreffen. Bei diesen Themen hat die Generation der sogenannten ›Digital Natives‹ eine an sich schon höhere Erfahrung. In meinen Seminaren bin ich auf Studierende getroffen, die in Themen derartig tief eingetaucht waren, dass kein*e gestandene*r Forscher*in dies in der Differenziertheit der Beobachtung einholen könnte. Hier müssen wir Platz für Nachwuchs machen und diesen bereits früh unterstützen“, so Ann-Marie Riesner.
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„Mich hat vor allem das Thema bewogen, an dieser Tagung teilzunehmen, da ich bisher im Studium noch nicht die Chance hatte, so moderne und unerforschte Literatur wie Fanfictions zu behandeln. Außerdem beschränkte sich das Thema nicht nur auf deutsche Literatur, sondern auch auf internationale und barg die Möglichkeit sich mit der globalisierten und vernetzten Buchwelt auseinanderzusetzen.“
- Saskia Schuster, Studentin der Germanistik und Antike Kulturen -
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Bislang existierten keine Veranstaltungsreihen, bei denen Studierende ihre Forschungsleistungen und Ergebnisse präsentieren und mit einem Publikum diskutieren können. Riesner und Huber erkannten einen Bedarf an Formaten, die sich explizit an Studierende wenden und riefen mit der Ausrichtung der studentischen Tagung „Self-insert into the canon: Öffentliches und privates Erzählen in Fanfiction“ ein festes Veranstaltungsformat in der Germanistik ins Leben. Dies bietet Studierenden nicht nur die Gelegenheit, sich in einem geschützten Raum auszuprobieren, sondern macht Wissenschaft auch greif- und erlebbarer. Das ›Arbeitsfeld Forschung‹ rückt näher, Wissenschaft wird sichtbar und damit für Studierende perspektivisch interessant.
Die wissenschaftliche Praxis wurde den Studierenden dabei nicht nur als fertige Tagung präsentiert, die vier Vortragenden waren auch in die Themenfindung, Konzeptionalisierung, Planung und Bewerbung der Tagung mit eingebunden.
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„Für mich war es besonders wertvoll, durch die Tagung erste Erfahrungen als Forschende sammeln zu können und als solche wahrgenommen zu werden. Zwischen all den Vorlesungen, Seminaren und Prüfungen vergisst man als Student*in schon mal gerne, dass man eben nicht nur studiert, sondern auch forscht. Fachlich gesehen war es außerdem sehr spannend, ein noch sehr neues und unerforschtes Genre zu betrachten und darüber mit anderen Interessierten zu diskutieren und sich auszutauschen. Dadurch konnten wir als Vortragende wirklich nah an einem sehr aktuellen Forschungsgegenstand mitarbeiten, und uns frei von Seminarkontexten entfalten.“
- Denise Schroeren, Studentin der Germanistik und Modernes Japan -
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Vier Studentinnen geben einen wissenschaftlichen Einblick in die Welt von Fanfiction
Den Auftakt zum gemeinsamen Tag machte der Anglist und Medienwissenschaftler Jonathan Rose von der Universität Passau, der in seiner Keynote grundsätzliche Merkmale des Erzählgenres ›Fanfiction‹ angab. Rose illustrierte, wie schwierig das Unterfangen einer geeigneten Definition von Fanfiction ist und kam zu einem Ansatz, dass Fanfiction immer auf eine kollektive Arbeit am Text verweist. Der Text ist Produkt und Prozess zugleich, er entsteht über mehrdimensionale Aushandlung und Dialog.
Sarah Donalies, Student*in der Germanistik und Kommunikations- und Medienwissenschaften, beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit der Privatheit der Fanfiction-Autor*innen; insbesondere wurde die Frage der Veröffentlichung in verschiedenen Medien und die Möglichkeit der Regulierung und Kontrolle von privaten Informationen diskutiert. Saskia Schuster, Studentin der Germanistik und Antike Kulturen nahm die Fanfiction My Immortal in den Fokus und zeigte die Konsequenzen einer rätselhaften Autorschaft auf. Die Autorin bzw. der Autor bleiben in diesem Fall über Jahre unklar, meldet sich aber in Paratexten zu Wort. Die Studentin der Germanistik und Kommunikations- und Medienwissenschaften Denise Schroeren beschäftigte sich mit der Verbindung von Self-Insert und Selbstfindung im K-Pop Fandom über die koreanische Boyband BTS. Thematische Schwerpunkte dieses Fandoms liegen vor allem bei der erzählerischen Verarbeitung von LGBTQ+ und Mental Health-Diskursen. Angela Klitsch studiert Germanistik und Kunstgeschichte und bestritt ihren Vortrag mit der Frage, ob Fanfiction als Safe Space verstanden und deshalb in besonderer Weise als (Erzähl-)Raum für Problemverarbeitung und -lösung genutzt wird. Sie thematisierte die Wechselwirkung zwischen kanonischem und privatem Inhalt sowie die Rückwirkungen auf die Schreiber- sowie Leser*innen.
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„Meinen Vortrag auf der Konferenz halten zu dürfen war eine sehr faszinierende und inspirierende Erfahrung. Durch diesen Einblick weiß ich jetzt nicht nur, dass ich doch schon mehr Kompetenzen in dem Bereich habe als gedacht, sondern auch, dass mir diese Tätigkeit wirklich Spaß macht und ich mir auch eine akademische Karriere vorstellen könnte. Besonders gewinnbringend war auch der Austausch mit den anderen Vortragenden und Teilnehmenden, die alle spannende Perspektiven eingebracht haben.“
- Sara Donalies, Student*in der Germanistik und Kommunikations- und Medienwissenschaften -
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Nächste Studierenden-Tagung im März 2022
Im aktuellen Winter-Semester 2021/22 richten Ann-Marie Riesner und Sabrina Huber erneut eine Studierendentagung aus, welche sich dieses Mal dem Thema Hörbuch bzw. Hörspiel widmet und im März 2022 stattfindet. Dabei soll noch mehr als bisher der Prozess der Tagungsplanung von Studierenden übernommen werden, damit sie sich typische Prozesse des wissenschaftlichen Projektmanagements früh aneignen können. Das Bachelor-Seminar „Das Hörbuch. Geschichte – Medialität – Praxis“ kollaboriert hierfür mit dem „Audiadiction“ Hörbuchkreis zu Marcel Proust.
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Weitere spannende Studierendenprojekte der Philosophischen Fakultät finden Sie hier.
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Die Wissenschaftskommunikation der Philiosophischen Fakultät
Autorin: Andrea Rosicki