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Wandbild von Albert Camus aus einzelnen bunten Fotos erstellt

Albert Camus’ philosophisches Frühwerk – neue Quellen und Perspektiven

Ein DFG-Projekt aus dem Institut für Philosophie

Obwohl Albert Camus ein weltweit bekannter Autor und sogar Literaturnobelpreisträger ist, liegen doch noch nicht alle seine literarischen und philosophischen Werke in deutscher Übersetzung vor. Insbesondere in Bezug auf sein Frühwerk liegt der Fokus der deutschsprachigen Camus-Rezeption nach wie vor auf dem berühmten Mythos des Sisyphos (1942) und reicht, wenn überhaupt, lediglich bis zu seiner Examensschrift Christliche Metaphysik und Neoplatonismus (1936) zurück. Kaum Beachtung hingegen haben bisher die noch größtenteils unübersetzten Jugendschriften (Écrits de jeunesse) erfahren. Diese Sammlung von zwischen 1931/32 und 1934 entstandenen, kleineren Texten ist jedoch gerade zur Erschließung des philosophischen Gehalts von Camus’ Œuvre wegweisend. Im Rahmen des von der DFG geförderten Projekts „Albert Camus’ philosophisches Frühwerk – neue Quellen und Perspektiven“ werden Prof. Dr. Christoph Kann und Dr. Oliver Victor eine Übersetzung dieser Schriften samt einer umfangreichen Einleitung und einem kritischen Kommentarapparat anfertigen. Zudem sollen unter anderem Camus’ Ästhetik, Anthropologie und Kulturphilosophie in seinem Frühwerk mittels weiterer Publikationen erschlossen werden.

Das Projekt

Das Projekt intendiert eine Revision der Entwicklungsgeschichte von Albert Camus als Philosoph. Vor dem Hintergrund des allgemein dominierenden Bildes von Camus als modernem Klassiker der Literatur sowie seinem Selbstverständnis als Kunstschaffender bzw. Künstler sollen seine philosophischen Arbeiten unter Fokussierung noch weitgehend unbekannter Jugendschriften erschlossen werden. Insoweit Camusʼ philosophisches Frühwerk bereits nachhaltig rezipiert wurde, geschah dies zumeist unter Konzentration auf die Examensschrift Christliche Metaphysik und Neoplatonismus (1936) sowie auf das zentrale Werk Der Mythos des Sisyphos (1942). Kaum oder gar nicht zur Kenntnis genommen wurden im deutschsprachigen Raum dagegen die genannten Jugendschriften, die für ein vollständigeres, kohärentes Bild von Camusʼ Denken, insbesondere seiner Kulturphilosophie mit ihren Leitmotiven des Europäischen und des Mittelmeerischen, seiner Anthropologie und Ästhetik, jedoch unverzichtbar sind. Insofern sollen im Rahmen des Projekts Camusʼ zwischen 1931/32 und 1934 entstandenen Écrits de jeunesse ediert, ins Deutsche übersetzt und kommentiert sowie hinsichtlich ihrer philosophischen Bedeutung der Fachwelt zugänglich gemacht werden. Eine solche Edition richtet sich allerdings allein aufgrund der Form der Texte nicht nur an ein Fachpublikum, sondern möchte diese Schriften gleichermaßen einer breiteren Leserschaft zugänglich machen. Dadurch bietet sich die Möglichkeit, die Aktualität von Camus hervorzuheben und seiner Philosophie wieder eine verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken, die nicht zuletzt über die wiedererlangte Popularität seines Romans Die Pest während der Corona-Pandemie hinausgeht.

Nicht nur die Themen der Jugendschriften selbst, wie zum Beispiel seine Auseinandersetzungen mit der Fragilität, Endlichkeit und Sterblichkeit des menschlichen Lebens, sondern auch seine Rezeption von Philosophen wie Nietzsche oder Schopenhauer wirken noch bis heute nach, so zum Beispiel in der französischsprachigen Nietzsche-Rezeption. Flankiert werden die Übersetzung und der Kommentar durch eine umfangreiche Einleitung sowie weitere Publikationen zu Camus’ Handhabung unterschiedlicher Schreibformen, der Reichweite seiner philosophiegeschichtlichen Perspektiven und seinem Europa-Gedanken. Ziel des Projekts ist damit, der weiteren Forschung eine bedeutende Textgrundlage zur Verfügung zu stellen, die genannten Schriften philologisch-philosophisch zu erschließen und durch historisch-systematische Untersuchungen derselben zu einem adäquateren Camus-Bild beizutragen.

Das Projekt hat eine Laufzeit von 2,5 Jahren (Beginn 04/2023). Aus den von der DFG bereitgestellten Mitteln werden eine „Eigene Stelle“ (Dr. Oliver Victor) sowie weitere Sach- und Personalmittel (Prof. Dr. Christoph Kann) finanziert.

Die Écrits de jeunesse

Die unter diesem Titel versammelten Texte verfasste Camus in den Jahren von 1931 bis 1934. Sie setzen sich zusammen aus kleineren literarischen sowie philosophischen Essays, Rezensionen, Zeitungsartikeln und Lektürenotizen, die Camus zu Lebzeiten nur teilweise publiziert hat. In der Camus-Forschung besteht Konsens darüber, sein Gesamtwerk in drei thematische Werkzyklen aufzugliedern: (1) das Absurde, (2) die Revolte und (3) die Liebe. Der erste Zyklus setzt 1938 mit Caligula an und umfasst die bekannten Hauptwerke Der Fremde und Der Mythos des Sisyphos. Der Mensch in der Revolte sowie Die Pest prägen die zweite Schaffensphase. Der letzte Zyklus der Liebe blieb unvollendet und beinhaltet u.a. den posthum veröffentlichten autobiographischen Roman Der erste Mensch. Die Écrits de jeunesse sind schon allein aufgrund zeitlicher Kriterien außerhalb dieser drei Werkzyklen anzusiedeln. Darüber hinaus offenbaren auch inhaltliche Aspekte, dass sie sich thematisch keinem der drei unmittelbar zuordnen lassen. Vielmehr zeigt sich, dass die Jugendschriften bereits wesentliche Topoi seines gesamten späteren Werkes beinhalten bzw. zumindest rhapsodisch andeuten und vorwegnehmen. Dies lässt sie aus werkgeschichtlicher Perspektive äußerst interessant erscheinen, und somit kommt eine Studie, welche sich der Genese diverser Sujets im Werk Camusʼ widmen möchte, um diese Schriften keineswegs herum.

Die für Camusʼ Gesamtwerk maßgeblichen philosophiehistorischen Prämissen sind in diesen Jugendschriften grundgelegt. Sein Interesse für die Philosophie des Neuplatonismus, insbesondere für den Philosophen Plotin und den Kirchenvater Augustinus, nimmt dort seinen Anfang. Aber auch Camusʼ intensive Beschäftigung mit Nietzsche, mit dem er sich auch noch gute 20 Jahre später in Der Mensch in der Revolte ausführlich auseinandersetzt, hat hier ihren Ursprung. Weitere Themenkomplexe, wie die mit Camus untrennbar verbundenen Motive des Absurden und der Revolte, bekommen erste Konturen, ebenso sein mit diesen Themen verbundenes Denken in Dichotomien und sein Leitmotiv des Mittelmeerischen. Zudem deuten sich die für seine existenzialistische Anthropologie und Ethik bedeutsamen Sujets Alter(n), Endlichkeit und Tod in den literarischen Essays der Jugendschriften an, die teils Frühversionen der späteren Essays aus Licht und Schatten darstellen und zu einer vergleichenden Analyse einladen. Nicht zuletzt manifestiert sich bereits in diesen frühen Texten die enge Verwobenheit von literarischer Darstellung und philosophischer Reflexion, die prägend für das Selbstverständnis Camusʼ wurde: So sah er sich nie als Philosoph im klassisch-akademischen Sinne, sondern eher als Kunstschaffender und Künstler in der Tradition Nietzsches.


Bild oben: Ceescamel2020 Portrettenhuisje-Camus (1), Bild in Breite und Höhe verkleinert seitens der Philosophischen Fakultät, Lizenz CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons.


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