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Leuchtschrift: Meet me for Coffee auf braunem Hintergrund

Auf einen kurzen Kaffee mit ...

Prof. Dr. Anke Hilbrenner, Professorin für Osteuropäische Geschichte am Institut für Geschichte

Anke Hilbrenner ist Osteuropahistorikerin. Seit April 2022 hat sie den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der HHU inne, zuvor war sie seit 2017 Professorin für Neuere Geschichte Osteuropas an der Universität Göttingen. Sie studierte in Bonn und Bochum und verbrachte während des Studiums und danach viel Zeit in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, vor allem in Russland und in der Ukraine. Mit ihren beiden Söhnen und ihrem Mann lebt sie in … Köln.

In der Uni trinkt sie ganz altmodisch Filterkaffee mit viel Milch, zuhause gerne Cappuccino.

In meinem ersten Düsseldorfer Semester war ich erstmal damit beschäftigt, die Gepflogenheiten der Universität, die Kolleg*innen und Studierenden kennenzulernen, was mir viel Spaß gemacht hat. Ein neues Projekt, das ich hier in Düsseldorf gerade angestoßen habe, ist eine Ausstellung zur Geschichte und Erinnerung an den Hitler-Stalin-Pakt, die ich zusammen mit Studierenden und dem Team des Museums Berlin-Karlshorst erarbeite. Die Zusammenarbeit des nationalsozialistischen Deutschlands und der Sowjetunion von 1939 bis 1941 verschwindet in der deutschen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg oftmals hinter der Geschichte des verbrecherischen deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. In vielen Ländern Ostmitteleuropas, vor allem in Polen und in den baltischen Ländern, aber auch in Rumänien und Moldau ist das ganz anders, weil es dieser Pakt war, der den Beginn des Kriegs und die Besatzungserfahrung markiert – eine Besatzungserfahrung, die in den Augen der Besetzten nicht nur bis 1945, sondern bis 1991 dauerte. Es geht in unserer Wanderausstellung, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ostmitteleuropa gezeigt werden soll, darum, diese unterschiedliche Erinnerung gerade vor dem Hintergrund der erneuten Erfahrung von Krieg im östlichen Europa thematisieren. Was bedeutet es, dass der Hitler-Stalin-Pakt in Deutschland häufig als Ouvertüre zum Zweiten Weltkrieg eher am Rande Erwähnung findet, während er für unsere östlichen Nachbarn und die ersten Opfer dieses Krieges das zentrale Ereignis der Besatzungsgeschichte markiert? Diesen Fragen wollen wir mithilfe der Ausstellung, aber auch im Rahmen des Begleitprogramms mit einem digitalen Diskussionsforum einem Blog und einem Podcast nachgehen.

Einige der Kolleg*innen, mit denen wir in Russland zusammengearbeitet haben, sind mittlerweile in Deutschland, wo wir nun unter veränderten Bedingungen weiter kooperieren können. Für diese bedeutete dieser Schritt natürlich einen tiefen Einschnitt in ihre wissenschaftlichen Karriere, abgesehen davon, dass alle ihr Leben, Teile ihrer Familie, ihres Freundeskreises und ihrer Kolleg*innen und all das, was Heimat normalerweise ausmacht, hinter sich lassen mussten. Nicht alle konnten, auch aus familiären Gründen, diesen Schritt gehen, obwohl wiederum nicht alle, die in Russland geblieben sind, den Krieg oder generell das System Putin unterstützen. Wir versuchen auch, mit diesen Kolleg*innen weiter zusammen zu arbeiten, selbst wenn sich das manchmal schwierig gestaltet. Diejenigen, die wir unterstützen wollen, weil sie z.B. ihre Arbeit verloren oder gekündigt haben, riskieren, durch den Kontakt mit uns als „ausländische Agenten“ zu gelten. Wen die Repressionen treffen, ist immer schwer vorherzusagen. Manche kommen mit Kritik und Auslandskontakten durch, andere bekommen wegen relativer Kleinigkeiten Schwierigkeiten. Diese Unsicherheit ist Teil des repressiven Systems, die Repressionen können letztlich jeden treffen. Das verbreitet Angst und sorgt für Ruhe.

Auch wenn wissenschaftliche Institutionen, Kultusministerien und auch der DAAD im Februar dieses Jahres schnell damit waren, die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Russland aufzukündigen, dürfen wir nicht vergessen, dass das die Politik des Regimes stützt, das auf die Isolation der russischen Wissenschaft und auch der Gesellschaft allgemein setzt. Es ist das System Putin, das etwa konkurrierende Software aufbaut, damit wir keine gemeinsamen Videokonferenzen mehr abhalten können, und das diejenigen, die mit uns zusammen arbeiten, unter Verdacht stellt. Wenn wir unsererseits die Zusammenarbeit aufkündigen, spielen wir dem Regime in die Karten. Mir erscheint es stattdessen wichtig, diejenigen, die kritisch sind, weiter im Blick zu halten, sie zu unterstützen und aufzupassen, dass sie nicht einfach verschwinden. Ich halte es aber auch für wichtig, denjenigen, die Russland und Belarus verlassen können und wollen, zu helfen. Gerade für russische und belarusische Kolleg*innen ist es nicht so einfach, z.B. nach Deutschland zu reisen. Bisher gibt es noch keine vereinfachten Visa-Verfahren, aber wir bemühen uns, beim Kontakt mit den Konsulaten behilflich zu sein. Die Austausch-Programme, die weiterlaufen konnten, nutzen wir vor allem für Studierende, die aus politischen Gründen das Land verlassen müssen oder wollen und wir bemühen uns, Fellowship-Programme für russische und belarusische Wissenschaftler*innen zu nutzen, die zuhause Probleme bekommen. Mindestens ebenso wichtig ist es natürlich, den vor dem Krieg geflohenen ukrainischen Kolleg*innen eine Perspektive zu geben. Da gibt es mehr Unterstützung, zum Glück, aber das heißt nicht, dass es keine Vermittlung brauchen würde.

Zoos sind faszinierende Institutionen, anhand derer sich die Geschichte von Wissenschaft und ihrer Vermittlung, Entertainment und Kommerzialisierung, Emotionen und die Beziehungen von Mensch und Tier im Wandel untersuchen lassen. Zugleich sind Zoos wichtige Akteure im Arten- und Naturschutz bereits seit dem 19. Jahrhundert. Auf der anderen Seite sind sie Teil der kolonialistischen Ausbeutung der Erde durch die Europäer*innen und ein wichtiger Schlüssel zur Erforschung der Arten- und Klimageschichte im Anthropozän. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Zoos über alle politischen Grenzen hinweg globale Player in einem Netzwerk aus (meist weißen und männlichen) Zoodirektoren, Tier- (und Menschen-)händlern, Tieren und Wissenschaftler*innen, die über die Trennlinien von Ost- und West, Europa und Asien, Arfrika und den Amerikas zusammenarbeiteten, und zwar unabhängig davon, zu welchem politischen System sie nominell gehörten. Andererseits beuteten etwa die deutschen Zoodirektoren während des Zweiten Weltkriegs die besetzten Zoos ebenso aus, wie sie die Kunstschätze des östlichen Europas raubten. Tiere waren aber auch diplomatische Geschenke und Zoos Orte der (zumindest inszenierten) Völkerverständigung. Die Zoos im Russischen Reich, nicht nur Moskau und St. Petersburg, sondern auch Riga, Kiew und Mykolaiv oder Askania Nova sowie später die Zoos der Sowjetunion, spielen in diesem Kontext eine besonders interessante Rolle, denn das Russische Reich und die Sowjetunion hatten stets die doppelte Perspektive auf die Machtstrukturen des Kolonialismus: Das Russische Reich und die Sowjetunion war ein Imperium mit eigenen Kolonien etwa im Kaukasus und in Mittelasien. Zugleich war der europäische Osten aber auch Gegenstand kolonialer Perspektiven zum Beispiel aus Deutschland. Deshalb stellen sich Fragen wie etwa diese: Welche Rolle spielen die eigenen, „nationalen“ und die fremden Tiere bei der Inszenierung des Imperiums in den Zoos St. Petersburgs und Moskaus oder inwiefern werden diese Orte zum Display von europäischer Zugehörigkeit? Wie gestalten die Verantwortlichen ihre Zoos und wie nehmen die Besucher*innen diese wahr? Welche verschiedenen Möglichkeiten gab und gibt es, Zoos zu lesen, zu erleben oder auch zu fühlen? Welche Rolle spielen Mensch-Tier-Verhältnisse dabei und wie wandeln sie sich über die Zeiten, in verschiedenen politischen oder kulturellen Kontexten? Welche Tiere werden geschützt, welche gegessen und welche verfüttert? Welche Rolle spielt Gewalt im Mensch-Tier-Verhältnis und in welchem Zusammenhang steht diese zu gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen, wie Krieg, aber auch Gewalt gegenüber gesellschaftlichen Gruppen, Minderheiten, Gewalt zwischen den Geschlechtern oder Gewalt gegenüber Kindern? Die Liste der Fragen lässt sich beliebig verlängern, ich will in den nächsten Jahren versuchen, darauf Antworten zu finden.

Ich war schon als Studentin gerne an der Uni und bin froh, dass ich einen Beruf gefunden habe, der es mir ermöglicht hat, an diesem wundervollen Ort zu bleiben. So schön es damals war, es ist ganz gut, dass nicht mehr alles beim Alten ist. Die Uni der Zukunft sollte die Errungenschaften der alten Universität bewahren, etwa die Freiheit von Forschung und Lehre oder die Möglichkeiten, Wissenschaft um ihrer selbst willen zu betreiben. Zugleich muss sich aber die Universität auch ändern, der Zugang muss breiter werden, und ihre Mitglieder diverser. Lehrende und Lernende sollten angstfrei und offen miteinander umgehen und der Freiheitsbegriff darf nicht dazu instrumentalisiert werden, Machtstrukturen und Ungleichheiten zu perpetuieren. Mitbestimmung würde an der idealen Universität nicht als Pflicht, sondern als Chance begriffen und wir haben alle ganz viel Zeit. An meiner Wunschuni gibt es auch keine überbordende Bürokratie und keine hinderlichen Befristungsregelungen, so dass die Arbeit an der Universität normalisiert wird, Wechsel zwischen Universität und der „Welt da draußen“ regelmäßig stattfinden – und die Hierarchien und Übergänge zwischen den Statusgruppen (Hannah und ihren Chef*innen) sich auflösen.

Eigentlich habe ich begonnen, Germanistik, Politik und Geschichte zu studieren, weil ich Journalistin werden wollte und ich habe auch neben dem Studium als Journalistin gearbeitet. Das hätte ich mir schon vorstellen können, aber ich war dann doch froh, als ich mich darauf konzentrieren konnte, jahrelang einen ziemlich langen Text zu schreiben, statt jeden Tag mehrere kurze.

Ich würde gerne nochmal für ein bis zwei Semester in ein anderes Land an eine tolle Universität gehen, wenn meine Kinder erwachsen sind und ich mir die Freiheit nehmen kann. Vielleicht kann meine Familie mich dann besuchen!

Freundschaft.

Das Netz über der Piazza von K 21 (Kunstsammlung NRW), eine Rauminstallation von Tomás Saraceno mit dem Titel „in orbit“. Mein Tipp: Selbst reinklettern und die Höhe spüren!

Im Moment würde ich sagen „Das mangelnde Licht“ von Nino Haratischwili. Aber das kann im nächsten Monat schon wieder ein ganz anderes Buch sein – ich lese gerne (vor allem Romane), habe aber keinen „Kanon“.


  • Weitere spanndende Interviews aus der Reihe "Auf einen kurzen Kaffee mit..." finden Sie hier.

Autorin: Andrea Rosicki

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