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Shinjuku Gyoen Park in Tokio

Wie wurden Gärten in Japan zu "japanischen Gärten"?

Ein DFG-Forschungsprojekt aus dem Institut für Modernes Japan

In den Jahrzehnten um die Wende zum 20. Jahrhundert entstanden in Japan neue Gärten, die Gartenhistoriker anfänglich schwer einordnen konnten. Warum die Gärten inzwischen trotzdem als gelungene „japanische Gärten“ zu nationalen Denkmälern erklärt werden, veranschaulicht das DFG-Forschungsprojekt von apl. Prof. Dr. Christian Tagsold vom Institut für Modernes Japan. Er untersucht damit die Konstruktion eines nationalen Mythos.

Der Garten als nationales Symbol

Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war der Außenkontakt Japans mit dem Westen stark reglementiert. Die Shōgune befürchteten die Kolonisierung des Landes und beschränkten den Kontakt mit dem Westen auf die niederländische Ostindien-Kompagnie, die in Nagasaki einen Stützpunkt unterhalten durfte. 1853/54 erzwangen die USA jedoch die Öffnung des Landes. In Folge dessen wurde der Shōgun gestürzt und die neue Regierung forcierte den Aufbau eines neuen Nationalstaates.

Damit verloren auch die prachtvollen japanischen Gärten an Bedeutung. Die ehemals herrschende feudale Schicht konnte sich den Unterhalt der weitläufigen Anlagen nicht mehr leisten und die Hauptstadt Tokyo, in der es einst über 1.000 große Gärten gegeben hatte, benötigte nun neues Bauland.

Im Zuge der Nationalstaatsbildung wurden Gärten jedoch zu einem Symbol für das Land. Vor allem auf Weltausstellungen stießen Gärten als Kulisse auf großen Anklang im Westen. Schnell erkannten japanische Politiker das Potenzial der Gartenkultur für ihr Land. Japanische Pavillons auf Weltausstellungen in Europa und Nordamerika präsentierten jetzt grundsätzlich Gärten.

Neue Gärten für ein neues Japan

Als die politische Neugestaltung in Japan Fahrt aufgenommen hatte, gab die Elite politischer und wirtschaftlicher Art die Gestaltung von Gärten wieder in Auftrag, die allerdings einer frischen Mode folgten. Der Symbolismus klassischer Beispiele wurde zugunsten einer einfacheren Natürlichkeit aufgegeben. Außerdem wurden die Gärten nun auch für Gartenpartys genutzt und mussten deshalb Rasenfreiflächen haben – ein ebenfalls untypisches Merkmal für die ursprünglichen Tempelgärten Kyotos. Diese neuartigen Gärten irritierten die Gartengeschichte, die sich um die Jahrhundertwende an den Universitäten formierte. Sie passten nicht so recht in die klassischen Muster und galten daher als eklektisch.

Vom „Eklektizismus“ zum nationalen Denkmal

In den letzten 30 Jahren sind jedoch viele der Gärten als Beispiele für die japanische Gartenkunst in nationale Denkmallisten aufgenommen worden. Tagsold hat in seinem Projekt untersucht, wie es zum Wandel in der Wahrnehmung kam und was er für unsere Vorstellung von japanischen Gärten bedeutet. Er zeigt mit seinen Forschungsergebnissen, dass die Idee des „japanischen Gartens“ sehr dynamisch ist. Was gestern als eklektische Mischung zwischen West und Ost galt, kann heute schon als Paradebeispiel einer uralten Kunstform präsentiert werden.

Dazu untersuchten Tagsold und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Nils Dahl zunächst intensiv die Geschichte von fünf Gärten in Tokyo, Osaka und Kyoto. Sie interviewten Denkmalexperten sowie Aktive vor Ort und durchforsteten die Archive. Im nächsten Schritt bezogen sie weitere Beispiele mit ein. Mit ihren Forschungsergebnissen zeigen sie, dass der Weg von eklektisch zu traditionell japanisch noch nicht für alle Gärten abgeschlossen ist – und vielleicht auch nie sein wird. Gleichwohl hat sich der Status einiger herausragender Beispiele grundlegend gewandelt. Das Projekt ist inzwischen abgeschlossen und ein Buchmanuskript liegt zur Begutachtung beim Verlag.


Fünf Fragen - Fünf Antworten

Im Gespräch: Projektleiter apl. Prof. Dr. Christian Tagsold vom Institut für Modernes Japan

Früher hatten Gärten in Japan tatsächlich eine andere Bedeutung als heute – Parks und Gärten in Deutschland allerdings zumeist auch. Die Gärten der Adeligen in Japan sollten die eigene Kulturviertheit zum Ausdruck bringen und bezogen sich oft auf Literatur und Gedichte oder bildeten berühmte Landschaften nach. Heute können normale Besucher:innen diese Bezüge allerdings nicht mehr entschlüsseln – ähnlich wie in historischen Parks in Europa ebenfalls das Wissen um die tiefere Bedeutung einzelner Szenen verloren gegangen ist. Wer Versailles durchstreift braucht einen guten Gartenführer, um alle Figuren und Bereiche zu verstehen und nicht viel anders ist es in einem Garten in Tokyo oder Kyoto auch.

Dass japanische Gärten ästhetisch so stringent scheinen, hat viel damit zu tun, dass eine überaus reiche und vielfältige Gartenkultur durch die Modernisierung des Landes ab dem 19. Jahrhundert ausgedünnt wurde. Wir wissen heute gar nicht mehr so genau, wie die Gärten normaler Samurai, Händler oder Bauern ausgesehen haben, weil nur wenige überlebt haben. Dafür werden sehr spezielle aristokratische Gärten heute gerne als allgemeingültig für Japan per se dargestellt. Zudem besteht ein gewisser Hang, alles für bedeutsam und aussagekräftig zu halten und daraus Rückschlüsse auf Japan und die Japaner:innen generell zu ziehen. Aber das ist eben der Mythos am japanischen Garten, wie er seit dem 19. Jahrhundert durchaus gezielt aufgebaut wurde.

Man muss aufpassen, jedes Element in einem japanischen Garten symbolisch zu überfrachten – ich wiederhole mich da, aber dieser Punkt ist wirklich wichtig. Diese Idee stammt aus der Gartengeschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts und war u.a. eine Strategie, westliche Gartenhistoriker:innen aus dem Geschäft zu drängen. Oft genug ist eine Brücke auch einfach nur ein Mittel, um über einen Bach zu gelangen. Natürlich haben Elemente auch symbolischen Charakter. Kiesel und Sand wurden im wasserarmen Kyoto z.B. eingesetzt, um Bäche und Teiche dazustellen.

Die Idee, dass Gärten in Japan irgendetwas mit dem Zen-Buddhismus zu tun hätten, stammt eigentlich aus den 1930er Jahren und wurde vor allem von einer amerikanischen Gartenautorin, Loraine Kuck, prominent lanciert. Zwar gab es immer schon Gärten in Zen-Tempeln, denen aber nicht unbedingt übermäßige Bedeutung für Meditation zugesprochen wurde. Der Begriff „Zen-Garten“ ist also ein ideales Beispiel dafür, dass vieles an japanischen Gärten erfundene Tradition ist, also im Nachhinein darübergestülpt.

Es gibt viele Gärten in buddhistischen Tempelanlagen. Normale Dorf- oder Stadtteiltempel waren früher Bereiche, wo Kinder spielen konnten. Manche Gärten in Tempelanlagen sind sehr ausgefeilt und prächtig und verweisen tatsächlich auf religiöse Vorstellungen, ohne dass das freilich immer so sein muss. Noch einmal – wir müssen uns etwas zurücknehmen und nicht in jedem Garten in Japan direkt etwas unglaublich symbolisch Aufgeladenes zu sehen.


  • Weitere spannende Forschungstätigkeiten der Philosophischen Fakultät finden Sie hier.

Autorin: Andrea Rosicki

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