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Textauszug in hebräischer shrift aus Rapoport, Salomon Jehuda Löb. „Mikhtav 1“ Kerem Hemed 7 (1843), 9-10.

Die Datierung des Jalkut Schimoni in der Wissenschaft des Judentums

Ein Forschungsprojekt aus dem Institut für Jüdische Studien

Im Fokus des laufenden DFG Projekts „Raschis Bibelauslegung im Jalkut Schimoni zu den Psalmen“ steht ein hebräischer Kommentar zu der gesamten hebräischen Bibel, der im Mittelalter entstanden ist und bis heute als ein wichtiges Nachschlagewerk genutzt wird. Geleitet wird das Forschungsprojekt von Prof. Dr. Dagmar Börner-Klein aus dem Institut für Jüdische Studien, unter der Mitarbeit von Frau Dr. Vera Leininger.

Der Verfasser des Jalkut Schimoni stellte Beiträge aus Talmud und Midrasch zusammen, zitiert nicht mehr vorhandene rabbinische Quellen und führte erstmals die palästinische und babylonische Auslegungstradition der Rabbinen zusammen. Wann dies geschah und durch wen, ist immer noch ungeklärt. 1307 beendete Kalonymus ben Jakob in Rothenburg ob der Tauber das einzige vollständige Manuskript des Jalkut Schimoni zur Torakommentierung, das erhalten ist, in dem er notierte, „Schimon ha-Darschan“ sei der Verfasser des Jalkut. Auch die Drucker des Erstdrucks des Jalkut zur Tora erwähnen 1526 Schimon ha-Darschan, den Prediger oder Ausleger, am Ende des Werkes. Aber über diesen Schimon ist nichts Greifbares bekannt.

Diskussion um die zeitliche Einordnung

Bislang wurde der Jalkut Schimoni sowohl in das 11. als auch in das 13. Jahrhundert datiert. Die Diskussion um die zeitliche Einordnung beginnt im 19. Jahrhundert unter den Vertretern der Wissenschaft des Judentums, die damit beginnen, die rabbinische Literatur wissenschaftlich zu erforschen und zu klassifizieren. Als erster datierte Leopold Zunz (1794-1886) 1832 den Jalkut in das 13. Jahrhundert. In einem privat geführten Briefwechsel, der zum Teil unveröffentlicht ist, konnte der spätere Prager Rabbiner und schließlich Oberrabbiner Salomon Judah Leib Rapoport (1790 Lemberg – 1867 Prag) Zunz davon überzeugen, dass der Jalkut früher, nämlich ins 11. Jahrhundert zu datieren sei, und dass der berühmteste jüdische Bibelausleger Raschi (Rabbi Schlomo ben Isaak, gest. 1104) den Jalkut als Quelle benutzt habe. 1843 veröffentlichte Rapoport seine Argumente als „Sendschreiben“ in der hebräischen Zeitschrift der jüdischen Aufklärung Kerem Chemed („Der liebliche Weinberg“), und 1854 übernahm Zunz in seinem Alterswerk „Die Literatur der Juden“ die Datierung Rapoports, trotz der lebhaften Diskussion, die sich an Rapoports Sendschreiben entzündet hatte.

Wissenschaftsgeschichtlich ist diese Diskussion um den Jalkut Schimoni von Interesse, da letztlich die Widerlegung Rapoports, 24 Jahre nach dessen Tod, durch Abraham Epstein (1841-1918) noch heute allgemein akzeptiert ist. Epstein bezog sich bei seiner Datierung des Jalkut Schimoni in das 13. Jahrhundert ausschließlich darauf, die von Rapoport vorgebrachten Argumente einzeln zu widerlegen.

Epstein kam aber vor allem deswegen zu anderen Ergebnissen als Rapoport, weil er offenbar andere Textausgaben benutzte als Rapoport. Zudem ging Epstein von der Grundannahme aus, dass rabbinische Texte im Traditionsprozess stabil sind, beim Abschreiben also nicht wesentlich verändert werden. Israel Mosche Ta-Shma (1936-2004) hat inzwischen insbesondere für die rabbinische Tradition in Italien und Deutschland gezeigt, das dem nicht so ist. Hier werden die rabbinischen Schriften gerne auch örtlichen Bräuchen angepasst.

Bild rechts: Abraham Epstein (1841 Starokonstantinov -1915 Wien; Bildnachweis nach EJ 1976: Jerusalem, Schwadron College, J.N.U.L.)

Das Forschungsprojekt greift die Diskussion um die Datierung des Jalkut erneut auf

In dem seit 01.02.2020 von der DFG geförderten Forschungsprojekt an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf geht es bei der Klärung von Einleitungsfragen daher auch darum, die Diskussion um die Datierung des Jalkut anhand der Psalmenkommentierung des Jalkut und Raschis erneut aufzugreifen. Inzwischen wurden 252 Übereinstimmungen zwischen Raschi und Jalkut Schimoni ermittelt, die nun zu analysieren und kulturgeschichtlich zu verorten sind. Es wird zudem zu klären sein, warum die zeitliche Einordnung des Jalkut durch den Wiener Privatgelehrten Abraham Epstein Einzug in die Lehrbücher hielt, und warum sich die Argumente eines wissenschaftlichen Autodidakten, der nie eine Schule oder eine Jeschiwa besucht hatte, gegen die Argumente eines rabbinisch umfassend gebildeten Gelehrten, der als wissenschaftliche Galionsfigur seiner Zeit gefeiert wurde, durchsetzen konnten und warum sie bis heute kritiklos anerkannt sind.

Weiterführende Links


Bildnachweise

Headerbild:
Rapoport, Salomon Jehuda Löb. „Mikhtav 1“ Kerem Hemed 7 (1843), 9-10
Große Porträtbilder (gemeinfrei):
Leopold Zunz: https://ephraim-veitel-stiftung.de/stiftungsgeschichte/
Salomo Jehuda Leib Rapoport: Von Antonín Machek https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39624024

Kleine Porträtbilder (gemeinfrei) von links nach rechts:
Michael Sachs: https://merhav.nli.org.il/primo-explore/fulldisplay?vid=NLI&docid=NNL_ARCHIVE_AL002775474&context=L

Moritz Steinschneider: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Moritz-Steinschneider.jpg
Leopold Löw: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lipot_Loew.jpg
David Luzzatto: https://en.wikipedia.org/wiki/Samuel_David_Luzzatto#/media/File:Shadal.jpg
Zacharias Frankel: https://de.wikipedia.org/wiki/Zacharias_Frankel#/media/Datei:Brockhaus_and_Efron_Jewish_Encyclopedia_e15_334-0.jpg
Samuel Holdheim: https://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_Holdheim#/media/Datei:Holdheim2.jpg
Julius Fürst: https://www.archiv-vegelahn.de/index.php/bibelarchiv/authoren/item/767-fuerst-julius
Franz Julius Delitzsch: https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Delitzsch#/media/Datei:FranzDelitzsch.jpg
David Cassel: https://en.wikipedia.org/wiki/David_Cassel#/media/File:David_Cassel.jpg
Adolph Jellinek: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Adolph_Jellinek_(1503618).jpg
Isaak Marcus Jost: https://merhav.nli.org.il/primo-explore/fulldisplay?vid=NLI&docid=NNL_ARCHIVE_AL002778479&context=L
Abraham Geiger: https://www.jewiki.net/wiki/Datei:426px-Geiger_a.jpg
Samson Raphael Hirsch: https://de.wikipedia.org/wiki/Samson_Raphael_Hirsch#/media/Datei:Samson_Raphael_Hirsch_(FL12173324).crop.jpg
Ludwig Phillipson: https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Philippson#/media/Datei:Ludwig_Philippson.jpg
Heinrich Graetz: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Graetz#/media/Datei:Heinrich_Graetz.jpg
Isidor Busch:  http://www.jmaw.org/isidor-bush-jewish-st-louis/

Fotografie Abraham Epstein: nach EJ 1976: Jerusalem, Schwadron College, J.N.U.L.
Header-Bild Kerem Chemed: https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=hvd.32044020590444&view=1up&seq=1&skin=2021


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