Jump to contentJump to search
Farbspektrum

Frames und kognitive Räume: Die Geometrie der Begriffe

Ein Forschungsprojekt am Institut für Philosophie

Wie werden Begriffe und ihre Bedeutungen kognitiv repräsentiert? Was geht in unserem Geiste vor, wenn wir Gegenstände durch ihre charakteristischen Merkmalen erfassen und darüber mit anderen Personen kommunizieren? Ein bedeutender sprach­wissenschaftlicher und philosophischer Ansatz zur Beantwortung dieser Fragen ist die Frame-Theorie der Begriffe, die an der HHU Düsseldorf im Rahmen des Sonderforschungsbereichs SFB 991 weiterentwickelt wurde. Das DFG-gefördertes Nachfolgeprojekt des SFB "Parametrisierte Frames und konzeptuelle Räume" erforscht die Erweiterung des Frame-Ansatzes, die auf der Theorie der kognitiven Räume beruht. In kognitiven Räumen werden Begriffs­bedeutungen in räumlich-geometrischer Weise beschrieben, woraus sich in Verbindung mit der Frametheorie daraus ein neuartiger und besonders leistungsfähiger Theorieansatz ergibt, dessen Erforschung sich Prof. Dr. Gerhard Schurz, Prof. Dr. Gottfried Vosgerau, Dr. Paul Thorn und Sebastian Scholz M.A. aus dem Institut für Philosophie gewidmet haben.

Der kognitive Farbraum

Die Erdbeere

Bild: Perfect Strawberry, unverändert, CC by Rlaferla, Wikimedia Commons

Erdbeerframe & Farbraumzuordnung

In der philosophischen Kognitionswissenschaft wurden kognitive Räume insbesondere von Peter Gärdenfors entwickelt und in der künstlichen Intelligenzforschung zu einem einflussreichen theoretischen Ansatz ausgebaut. Die Grundidee dieses Ansatzes beruht auf der Geometrisierung von Bedeutungen. Beispielsweise besteht der oben abgebildete kognitive Raum, in dem wir die Farbe von Objekten erfassen, aus drei Dimensionen: dem Farbton (hue), der Farbsättigung (chroma) und der Helligkeit (brightness). Bestimmte Farbausprägungen können auf diese Weise durch charakteristische Strukturen in diesem Farbraum dargestellt werden. Zugleich besitzen natürliche Gegenstände, wie die oben abgebildete Erdbeere, charakteristische Merkmalsdimensionen, sogenannte Attribute, die in der Frame-Theorie erfasst werden. Dabei kann es sich wie oben um anatomische Attribute handeln, die dem Gegenstand "Erdbeere" charakteristische Teile zuordnen, nämlich Stengel, Fruchtfleisch und Samen, deren spezifische Farbausprägung in einem zugeordneten Farbraum lokalisiert wird (siehe oben rechts). Durch diese Verbindung von Frametheorie und konzeptuellen Räumen entsteht reichhaltige kognitive Repräsentation, die sich insbesondere zur Erforschung dessen eignet, was man unter der "Natürlichkeit" von Begriffen versteht. Die Erfassung der Kriterien für die kognitive und ontologische Natürlichkeit von Begriffen macht das wichtigste Forschungsziel des vorliegenden Projektes aus. Die Arbeit soll in enger Kooperation mit drei weiteren Forschungsteams erfolgen: dem SFB-Nachfolgeprojekt von Prof. Kann (Voraussetzungen der Frame-Theorie in der Geschichte der Philosophie), dem SFB-Nachfolgeprojekt von Prof. Laura Kallmeyer (Unüberwachte Induktion von Ereignisframes) und dem Forschungsteam zu kognitiven Räumen von Dr. Corina Strößner von der Universität Bochum, frühere Mitarbeiterin im SFB 991.

In ihrer geometrische Darstellung präsentieren sich natürliche Begriffe durch gewisse anschaulich einprägsame ästhetische Formeigenschaften.

Prof. Dr. Gerhard Schurz

Geometrische Kriterien für die Natürlichkeit von Begriffen

Natürliche Begriffe sind kognitiv besonders eingängig, anschaulich und diagnostisch äußerst effizient in der Beschreibung unserer natürlichen Umwelt. Sie werden deshalb in der Sprachentwicklung früh gelernt und einige von ihnen scheinen neurowissenschaftlichen Befunden zufolge direkte neuronale Korrelate zu besitzen. Gemäß einer auf Peter Gärdenfors zurückgehenden Idee können durch die geometrische Darstellung von Begriffen besonders natürliche Begriffe durch bestimmte geometrische Formeigenschaften gekennzeichnet werden, denen anschauliche Einfachheit und Ästhetik zukommt. Die drei wichtigsten dieser Formeigenschaften werden in der technischen Fachsprache Konnexivität, Sternförmigkeit und Konvexität genannt, was anschaulich am besten als "Zusammenhalt", "Zentrumsverbundenheit" und "Freiheit von Einbuchtungen" wiedergegeben werden kann. Ob es weitere geometrische Kriterien für kognitive und für ontologische Natürlichkeit gibt und welche dies sind, wird eine höchst spannende Forschungsfrage des vorliegenden Projektes sein.

Attribute als kognitive Räume

In der Frame-Theorie werden Gegenstände und Gegenstandsarten durch Frames dar­gestellt. Ein Frame ist ein Bündel von charakteristischen Attributen (wie z.B. Farbe, Gestalt, Materialbeschaffenheit etc.), wobei jedes Attribut dem betreffenden Gegenstand einen bestimmten Attributwert zuordnet (z.B. hellrot, oval, hölzern etc.), und der betreffenden Gegenstandsart eine bestimmte Region von Werten. Die Verbindung der Frame-Theorie und der Theorie kognitiver Räume gelingt, indem Attributen kognitive Räume zugeordnet werden. Das Resultat dieser Verbindung sind framebasierte kognitive Räume (eine Vorstufe dazu waren im SFB 991 entwickelten "parametrisierten Frames"). Attributwerte entsprechen darin bestimmten Positionen des zugeordneten konzeptuellen Raums und Wertregionen entsprechen charakteristischen Regionen (oder Unterräumen) dieses Raums. Hinzu kommen Korrelationen: das sind framespezifische Gesetzesverbindungen zwischen Werten oder Wertregionen unterschiedlicher Attribute; sie lassen sich in framebasierten kognitiven Räumen durch Graphen und Hyperflächen in Produkträumen besonders anschaulich darstellen.  

Kognitive Räume gibt es natürlich auch für die höherwertigen Attribute der Physik (Länge, Zeit, Masse, ....), aber in der Theorie kognitiver Räume geht es primär um alltägliche Wahrnehmungsattribute. Kognitive Räume wurden nicht nur für den Farbraum entwickelt, sondern auch für weitere Wahrnehmungsattribute, wie beispielsweise den Vokalraum (über beliebige Sprachen), den Gestaltraum (bestehend aus elementaren Formen), den Raum für taktile Oberflächenbeschaffenhei­ten (weich, hart,...), usw. Nebenstehende Abbildung zeigt einen kognitiven Raum zur Alltagsklassifikation von Bäumen mit den drei Dimensionen: Rauheitsgrad der Rinde, Rauh­heitsgrad der Blätter, und Blattstellung (phyllotaxy), mit den Zuordnungen Ulme (rot),  Buche (blau),  Kastanie (grün). Die einzelnen Bäume formen Cluster; die jeweiligen natürlichen Arten besetzen also bestimmte (z.B. konvexe) Regionen im Raum.

Die Konstruktion der Begriffsgeometrie

Die metrische Struktur kognitiver Räume ist im einfachsten Fall die des vertrauten euklidischen Raumes, doch sie kann auch anders geartet und logisch gesehen schwächer strukturiert sein. In jedem Fall muss diese Struktur aus kognitiven Daten heraus konstruiert werden. Grundliegend hierfür ist zweierlei. Erstens eine graduelle Ähnlichkeitsrelation, also ein Maß für die Ähnlichkeit bzw. invertiert die Distanz zwischen zwei Ausprägungen einer Attributdimension; beispielsweise der Distanz zwischen dem idealtypischen Farb­ton Rot mit anderen Farbtönen wie Dunkelrot, Hellrot, Lila, Blau, Violett usw. Zweitens eine bestimmte Menge von prototypischen Unterkategorien, die charakteristische Positionen im kognitiven Raum besetzen, z.B. den typischen Farbtönen Rot, Blau, Lila, Violett, usw. Durch die in nebenstehender Abbildung illustrierte Methode des Voronoi-Mosaiks (Voronoi tesselation by Markus Matern, public domain) ist es möglich, um diese prototypischen Punkte herum charakteristische Regionen von Punkten zu zeichnen, die diesen Prototypen ähnlicher sind als allen anderen Prototypen. Auf diese Weise werden die Extensionen von Prototypenbegriffen in kognitiven Räumen bestimmt; jeder kognitive oder physikalische Raum kann so in charakteristische qualitative Bereiche zerlegt werden. Diese Methode wird mittlerweile in vielen Bereichen angewandt, nicht nur in der Kognitionswissenschaft, sondern auch in der Meteorologie und Klimaforschung.


Wichtige Vorarbeiten zum Forschungsprojekt (u.a.):

  • Newen, Albert & Vosgerau, Gottfried (2020): "Situated Mental Representations", in Smortchkova, J., Dołęga, K. & Schlicht, T. (eds.): What are Mental Representations?, Oxford University Press, Oxford and New York, 178-212.

  • Schurz, Gerhard (2012): "Prototypes and their Composition from an Evolutionary Point of View", in  Werning, M., Hinzen W. & Machery, E. (eds.), The Oxford Handbook of Compositionality, Oxford University Press, Oxford and New York, 530–553.

  • Strößner, Corina. (2020): "Integrating Conceptual Spaces in Frames", Journal of Applied Logics 7(5), 683–705.

  • Strößner, Corina & Schurz, Gerhard (2020): "The Role of Reasoning and Pragmatics in the Modifier Effect", Cognitive Science 44 (2), e12815.

  • Strößner, Corina & Schuster, Annika & Schurz, Gerhard (2021): "Modification and Default Inheritance", in S.  Löbner, T. Gamerschlag, T. Kalenscher, M. Schrenk, & H. Zeevat (eds.), Concepts, Frames and Cascades in Semantics, Cognition and Ontology, Springer,  Cham, 311-327.

  • Taylor, Samuel D. &  Gottfried Vosgerau (2021): "The Explanatory Role of Concepts", Erkenntnis 86(5), 1045–1070. 

  • Thorn, Paul & Schurz, Gerhard (2021): "How Category Selection Impacts Inference Reliability: Inheritance Inference from an Ecological Perspective", Cognitive Science 45, 2021, e12971. 

  • Vosgerau, Gottfried (2007): "Conceptuality in Spatial Representations", Philosophical Psychology 20(3), 349–65.

  • Weitere spannende Forschungstätigkeiten der Philosophischen Fakultät finden Sie hier.
Responsible for the content: