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Steinach im Winter

„Über ‚Klöß‘, ‚Kruserich‘ und ‚es Mädla mit’n Klädlä“ – den heimischen Dialekt erforschen, erwandern und dabei Grenzen überschreiten“

Ein Forschungsprojekt aus dem Institut für Sprache und Information

Deutschlandweit existieren circa 30 größere Dialektgruppen, die in unzählige kleinere regionale Varianten aufgegliedert sind und sich auch von Wohnort zu Wohnort unterscheiden können. Die regional begrenzten Sprachvarietäten gelten als identitätsstiftend und mit ihnen werden örtliche Besonderheiten, Geschichten und Eigenheiten konserviert. In dem von der Bürgeruniversität der Heinrich-Heine-Universität geförderten Projekt „Über ‚Klöß‘, ‚Kruserich‘ und ‚es Mädla mit’n Klädlä“ – den heimischen Dialekt erforschen, erwandern und dabei Grenzen überschreiten“ untersucht Dr. Jasmin Pfeifer vom Institut für Sprache und Information den südthüringischen Dialekt „Stänichä“.

In Deutschland werden Dialekte regional sehr unterschiedlich aktiv gesprochen, zu verzeichnen ist hierbei ein starkes Nord-Süd-Gefälle. Während im Norden Dialekte stark auf dem Rückzug sind und bei Städter*innen und Jugendlichen Dialekte insgesamt an Bedeutung verlieren, genießen Dialekte in südlichen Gegenden nach wie vor einen starken Gebrauch und sind mit ihren eigenen sprachlichen Regeln parallel zur Standardsprache fest im Leben der Bürger*innen verankert.

Einer dieser intensiv gepflegten Dialekte, ist das „Stänichä“. Diese im südthüringischen Steinach gesprochene Mundart ist in dem Ort allgegenwärtig und lebendig. Unter den Bürgern und Bürgerinnen existiert ein ausgeprägtes Bewusstsein für sprachliche Dialektfeinheiten und die eigene Heimatsprache wird insgesamt als sehr prägend empfunden.

Das Stänichä ist eine lokale Varietät des sogenannten Itzgründischen, ein unterostfränkischer Dialekt, der im Grenzgebiet zwischen Thüringen und Bayern gesprochen wird. Dieser Sprachraum grenzt im Norden an den mitteldeutschen Thüringischen, im Süden und Osten an den Oberostfränkischen und im Westen an den Hennebergischen Raum. Interessant dabei ist, dass die Sprachräume nicht mit den politischen Grenzen übereinstimmen und auch die deutsch-deutsche Grenze einst mitten hindurch verlief. Durch die unmittelbare Nähe zu den verschiedenen sprachlichen Grenzen, lässt sich ein starker Einfluss der benachbarten Dialekte verzeichnen.

Standarddeutsch: Kloß – Klöße vs. Itzgründisch: Klueß -Klüeß vs. Oberfränkisch: Kloß – Klöß vs. Stänichä: Kloß – Klöß

Steinacher Bürgerinnen und Bürger wirken bei der Erforschung ihres Dialektes aktiv mit

Der Ort Steinach verzeichnet eine Reihe von Dialekt-Vereinen und Initiativen, die auch Mundartabende veranstalten. Hier knüpft das Forschungsprojekt an: gemeinsam mit den Steinacher Bürgerinnen und Bürgern erforscht Pfeifer aktiv den örtlichen Heimatdialekt und eröffnen damit den Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens für die Bevölkerung.

Eingebunden werden die Bürgerwissenschaftler*innen dabei in unterschiedlicher Art und Weise, beispielsweise können traditionelle Steinacher Rezepte und Lieblings-Dialektwörter für ein Koch- bzw. Wörterbuch eingereicht werden. Die ursprünglich geplanten Workshops und Dialekttage in Schulen fielen aufgrund der Pandemie leider aus, stattdessen fanden Einzeltreffen und Online-Formate statt. Darüber hinaus wird zusammen mit den Steinacher*innen ein Wanderweg mit entsprechenden Schautafeln konzipiert, deren erklärende Texte in der ortseigenen Mundart auf wichtige Punkte der Orts- und Kulturgeschichte hinweisen und der mithilfe des Naturparks Thüringer Wald fertig gestellt wird. Filmisch begleitet wird dies durch den Bayerischen Rundfunk.

Der Dialekt „Stänichä“ ist bislang nicht wissenschaftlich dokumentiert

Mit ihrem Interesse am Dialekt Stänichä widmet sich die HHU-Wissenschaftlerin einem Dialekt, dessen Sonderstellung bislang wissenschaftlich nicht dokumentiert ist. Dabei geht dessen Erforschung über die rein lautliche Analyse hinaus und erfasst auch morphologische Aspekte das heißt, die Erforschung der Wortbildung auf die Ausprägung der Laute sowie die Erforschung des Syntax.


Fünf Fragen - Fünf Antworten

Im Gespräch: Projektleiterin Dr. Jasmin Pfeifer vom Institut für Sprache und Information

Wir hatten zunächst noch im Januar 2020 eine wunderbare Auftaktveranstaltung im Gemeindehaus, die mit ca. 80 Gästen sehr gut besucht war und auf der sich bereits sehr großes Interesse der Bürgerinnen und Bürger an Partizipation abzeichnete. Es waren für März 2020 mehrere Workshops geplant und dann für etwas später im Jahr weitere Dialekttage in örtlichen Schulen und dem Kindergarten. Dies musste leider alles coronabedingt ausfallen, was ein herber Schlag für das Projekt war. Es konnte so in seiner ursprünglichen Konzeption also durch die Pandemie nicht mehr stattfinden. Stattdessen haben wir versucht, alles online oder – wenn es zwischenzeitlich die Pandemie erlaubte – in Kleinstgruppen stattfinden zu lassen. Gerade die älteren Bürger*innen, die in dieser Zeit notgedrungen besonders viel Zeit zu Hause verbracht haben, haben diese Zeit sehr intensiv genutzt und z.B. Wortlisten gesammelt, Kochrezepte aufgeschrieben, sich mögliche Ziele und Routen für den geplanten Dialekt-Wanderweg ausgedacht. Die Ergebnisse sind mir dann auf die unterschiedlichsten Weisen übergeben worden: einige per Mail oder sogar Whatsapp, andere z.B. per Brief. Das ist ja heute schon eher ungewöhnlich. Was – bei allem Unglück in der Pandemie – besonders schön zu beobachten war: für viele Menschen war die Beschäftigung mit ihrem Dialekt und die damit einhergehende Recherchearbeit in der Lokalhistorie eine willkommene Ablenkung von den täglichen schlechten Nachrichten in der Pandemie. Die kleine Freude im Alltag. Auch insofern hat das Projekt, wenn auch ungeplant, Gutes erreicht.  Im Großen und Ganzen würde ich resümieren, dass wir aus dieser furchtbaren Situation doch noch das Beste gemacht haben. Die Steinacher*innen waren jedenfalls auch durch die Pandemie nicht von der Dokumentation ihres Dialekts abzuhalten.

Sehr, sehr gut. Man hat das Gefühl, da haben wir „offene Türen eingerannt“. In Steinach ist der Dialekt bis heute im Alltagssprachgebrauch lebendig – allerdings bei den Älteren noch mehr, als bei den jüngeren Menschen. Eine gewisse Sorge, dass der Dialekt in seiner Vielfalt ausstirbt, ist deshalb gerade bei den Älteren schon da. Das Projekt wurde deshalb begeistert aufgenommen, was die Resonanz sowohl auf unsere Auftaktveranstaltung als dann auch bei der eigentlichen Projektarbeit zeigte. Vom Bürgermeister der Stadt bis zu den Vereinen haben wir viele offene Ohren gefunden: so hat zum Beispiel der lokale Chor sofort zugesagt, bei der Eröffnungsveranstaltung ein Lied im Dialekt vorzutragen. Bürgerinnen und Bürger haben – neben ihren Beiträgen zur wissenschaftlichen Forschung - mit ihren Kontakten zu Wirtschaft und Verwaltung weitergeholfen. So wurden die Stärken einer funktionierenden lokalen Gemeinschaft zu Stärken des Projektes.  Bis heute engagieren sich einzelne Bürgerinnen und Bürger besonders stark und treten als Multiplikatoren auf, die zur weiteren Vernetzung des Projektes beitragen.

Ja, das hört und liest man immer wieder. Ganz grundsätzlich muss man sagen, dass sich das Image von Dialekten – generell aber auch von einzelnen Varietäten – in einem stetigen Wandel befindet. Der eine findet das Hamburgische als angenehm, weil er damit schöne Erfahrungen in der Hansestadt verbindet, die andere denkt bei dem Bayerischen an ihre Urlaube im Voralpenland am Tegernsee oder Chiemsee. Solche persönlichen Erfahrungen mögen für die ohnehin sehr subjektive Bewertung der „Attraktivität“ eines Dialektes eine Rolle spielen, wobei sie nur ein möglicher Erklärungsansatz sind. Dass der Dialekt ein „Imageproblem“ hat, mag mit der voreiligen Gleichsetzung des Dialektes mit einer gewissen „Provinzialität“ zusammenhängen. Ich gehe aber – nicht nur mit Blick auf unser Dialektprojekt – davon aus, dass sich das gegenwärtig deutlich ändert: Im Radio ist landauf, landab vermehrt Dialekt zu hören, Zeitungen und Fernsehsender berichten breiter und haben entsprechende Aktionen gestartet. Man könnte in gewisser Weise von einem „Comeback“ des Dialektes sprechen, der eine Sehnsucht nach Verwurzelung zum Ausdruck bringt – gerade in diesen bewegten Zeiten.

Natürlich das „Stänichä“. Im Ernst: was diesen Dialekt so spannend und auch schön macht, ist zum einen die Kreativität der Sprecher*innen, die mit neuen Wörtern, wie z.B.  „Wischkastla“ für das Smartphone zeigen, dass Dialekte nichts Verstaubtes, Altmodisches an sich haben, sondern wenn sie aktiv gesprochen werden, mit der Zeit gehen. Daneben ist dieser Dialekt deshalb so interessant, weil sich hier zeigt, wie sich Dialekte in einer Region entwickeln, wo sich Sprachgrenzen und politische sowie kulturelle Grenzen kreuzen und eben nicht immer parallel zueinander verlaufen. Genau diese Gegebenheiten schaffen meines Erachtens nach noch einmal ein besonderes Bewusstsein für den eigenen Dialekt als Zeichen der lokalen Identität, was mich sehr fasziniert.

Was wir vermeiden wollen ist, dass plötzlich nach dem formalen Ende des Projektes alles wieder so ist, wie vorher. Ziel ist, etwas zu schaffen, das auch für andere Orte oder Gegenden, die sich ihrem Dialekt widmen wollen, als „Blaupause“ dienen kann. Wir sind deshalb gegenwärtig dabei, einen „Dialektwanderweg“ für den Ort mit entsprechender Beschilderung fertigzustellen, auf denen wichtige lokale Ereignisse, Personen und Sehenswürdigkeiten im Dialekt erklärt werden. Hierzu bedarf es freilich einiger Abstimmung vor Ort, was die Streckenwahl sowie die Gestaltung der Hinweistafeln betreffen. Hier wirken die Menschen vor Ort mit und bringen ihre Kenntnisse ein. Wenn wir am Ende mit einem Dialektwörterbuch und dem Wanderweg etwas Bleibendes geschaffen haben, sind wir – trotz all der coronabedingten Mühen – sehr zufrieden.


  • Weitere spannende Forschungstätigkeiten der Philosophischen Fakultät finden Sie hier.

Autorin: Andrea Rosicki

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