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Bild von 1910. Zusehen ist ein Ruderboot mit Menschen unter einer Eisenbahnbrücke. Auf der Brücke fährt eine Dampflok.

‚Maschinenräume‘ des Mittelmeers: Eine visuelle Geschichte der Mobilität und Beschleunigung - ERC Consolidator Grant MEDMACH

Prof. Dr. Eva-Maria Troelenberg, Professorin für Transkulturelle Studien am Institut für Kunstgeschichte, untersucht in dem Projekt „Machinery Rooms of the Mediterranean, 1800-present: Images and Visual Archives of Movement and Acceleration“ (MEDMACH) die Geschichte des Mittelmeerraumes nach 1800. MEDMACH richtet den Fokus dabei auf die bislang wenig beachteten und vernachlässigten Orte, Perspektiven und Narrative: Infrastrukturen und Maschinerien industrialisierter Beschleunigung wie Flughäfen, Bahnhöfe, Industriehäfen und Schiffe. Hierfür werden insbesondere Bildarchive und Bilder aus dem „Maschinenraum“ gesichtet und ausgewertet, in deren sich die zahlreichen Prozesse der (Dis-)Konnektivität spiegeln.

Die Grants des European Research Council (ERC) zählen zu den renommiertesten europäischen Forschungsförderungen.

Im vergangenen Sommer gingen zahlreiche Meldungen und Bilder um die Welt, die uns die Realitäten des globalen Klimanotstandes einmal mehr vor Augen führten. In der zweiten Julihälfte 2023 wurden die griechische Insel Rhodos und einige andere sogenannte Ferieninseln zu einem Hauptschauplatz dieser Entwicklungen, als während der europäischen Hitzewelle Cerberus umfangreiche Waldbrände die Region erfassten. 19 000 Menschen – Einheimische und Tourist*innen - mussten kurzfristig über Land- und Seewege evakuiert werden, während Charterflüge großer Reiseveranstalter aufgrund der massiven Rauchentwicklung abgesagt wurden. Wenige Wochen später, Anfang September, brachte das Sturmtief Daniel über weiten Teilen des Mittelmeerraumes einen mediterranen Wirbelsturm mit massiven Regenfällen mit sich. An der libyschen Küste wurde die Stadt Derna durch den Bruch zweier Staudämme verwüstet, tausende Menschen starben oder bleiben seither vermisst. Eine Vielzahl von Videos, teils von Drohnen aufgenommen, zirkulierten in den Tagen nach der Katastrophe durch globale Mediennetzwerke.

Diese beiden aktuellen Ereignisse sind unmittelbar mit den Hauptzielen des ERC-geförderten Projekts „Machinery Rooms of the Mediterranean, 1800-present. Images and Visual Archives of Movement and Acceleration“ verbunden. In dieser Forschungsgruppe betrachten wir die Geschichte des global vernetzten Mittelmeerraumes mit seinen industriell geprägten Infrastrukturen und ihren anhaltenden Wirkungen auf Gesellschaft und Umwelt bis heute. Im Zentrum stehen ‚Maschinerien‘ der Mobilität und technischen Beschleunigung wie etwa motorbetriebene Fahrzeuge, Schiffe, Flugzeuge, Dämme, Kanäle, Bahnhöfe, Brücken, Flughäfen und Hafenanlagen. Sie sind definierende Orte für die Zeit nach 1800. Das Verständnis ihrer Genese, Nutzung, Wahrnehmung, aber etwa auch Vernachlässigung, Zerstörung oder temporären Blockade verdeutlicht Verflechtungsgeschichten. Eine solche Historiographie führt über nationale Grenzen hinaus und adressiert auch die sich wandelnde Stellung des Mittelmeerraums im Verhältnis zu anderen globalen Regionen. Diese ‚Maschinenräume‘ sind zugleich Problemstellen moderner und gegenwärtiger Geschichten: Nicht nur progressive und verbindende Bewegungen beschleunigten sich seit 1800 – nicht zuletzt waren und sind diese Infrastrukturen auch Schauplätze nationaler, kolonialer und totalitärer Politik, von Krieg, Migration, Ausgrenzung, wirtschaftlicher Ungleichheit und Umweltzerstörung. Beispiele wie etwa das gekenterte Kreuzfahrtschiff Costa Concordia, der Suez Kanal, die Eisenbahnbrücke von Venedig oder der Grenzzaun von Melilla zeigen, wie hier in der Zusammenschau unterschiedlich gelagerter Fallstudien eine komplexe Geschichte des modernen und zeitgenössischen Mittelmeeres sichtbar wird.

Bildpraktiken der Gegenwart nahm die Reproduzierbarkeit und Verbreitungsgeschwindigkeit von Bildern stets neue Dimensionen an. Gleichzeitig intensivieren sich Fragen nach den Zielsetzungen und Narrativen, die mit Bildern, ihrer Herstellung, Vermittlung und auch Aufbewahrung verbunden sind. MEDMACH arbeitet daher mit einer historisch-bildwissenschaftlichen Perspektive: In welchem Verhältnis stehen die „Machinery Rooms of the Mediterranean“ mit Bildern sowie ihrer Zirkulation und Verbreitung? In welchen Archiven finden wir diese visuellen Quellen? Mit diesem Ansatz verbinden wir zwei Ziele: MEDMACH wird zu einem realistischen Bild des Mittelmeerraumes als global vernetztem Kultur- und auch Krisenraum der Zeitgeschichte beitragen. Zugleich wird das Projekt zeigen, wie Methoden und Ansätze einer transkulturell gedachten historischen Bildwissenschaft leitend für relevante Fragestellungen der Gegenwart sind.

Weitere Informationen zu MEDMACH finden Sie auf der Projekthomepage.


Bildquellen:

Header: Eisenbahnbrücke über einer Lagune in Venedig. Unveränderte Darstellung. Fotograf: Unbekannt; als gemeinfrei gekennzeichnet siehe Wikimedia Commons. Originalbild: Venezia - Ponte della ferrovia sulla Laguna via Wikimedia.

Bild im Text: Landkarte von 1873: Landenge von Suez. Unveränderte Darstellung. Quelle: Élisée Reclus; als gemeinfrei gekennzeichnet siehe Wikimedia Commons. Originalbild: FMIB 43984 Isthmus of Suez via Wikimedia.


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