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Christine Stender auf der Bühne am Veranstaltungstag

Wie lässt sich Teilhabegerechtigkeit in der Kultur erreichen?

Im Forschungsprojekt „Kulturelle Teilhabe und Citizen Science. Eine bürgerwissenschaftliche Analyse der Arbeits- und Wirkungsweisen intermediärer Vereine im Feld der kulturellen Partizipation“ forschen Wissenschaftler*innen der HHU gemeinsam mit Expert*innen der Bundesvereinigung kulturelle Teilhabe e.V. und suchen nach Antworten auf die Frage nach kultureller Teilhabegerechtigkeit. Gefördert wird das Projekt im Rahmen der Bürgeruniversität der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU), geleitet wird es von Christine Stender.

Seit der programmatischen Forderung des Kulturpolitikers Hilmar Hoffmann nach „Kultur für alle“1 in den späten 1970er Jahren ist der wissenschaftliche Diskurs um kulturelle Teilhabe multidisziplinär aufgenommen und weiterentwickelt worden. In der Praxis wird jedoch deutlich, dass dieses politische Postulat noch nicht erfüllt wurde. In Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen aus ganz Deutschland untersucht das Citizen-Science-Projekt ein Instrument zur Steigerung kultureller Teilhabe, um einen Beitrag zur wissenschaftlichen und praktischen Debatte um kulturelle Partizipation zu leisten.

Von der Theorie in die Praxis

Die Akteur*innen der Bundesvereinigung kulturelle Teilhabe e.V., die bundesweit kostenfreien Eintritt zu kulturellen Veranstaltungen an Menschen mit wenig oder keinem Einkommen vermitteln, bringen als Projektpartner*innen wertvolle neue Einblicke und Expertisen in diesen Diskurs ein. Wer profitiert von einem solchen Angebot? Was sind Einflussfaktoren auf das Kulturnutzungsverhalten und welche Barrieren führen dazu, dass aktuell nur ca. 10% der Gesamtbevölkerung zum „Kernpublikum“ kultureller Institutionen zählen? Welche Faktoren können kulturelle Teilhabe steigern und wie können Institutionen vom zivilgesellschaftlichen Engagement lernen, um ein diverseres Publikum zu erreichen?

In der kollaborativen Umsetzung mit Ehrenamtlichen der Vereine, die in der Bundesvereinigung organisiert sind, ermöglicht das bestehende Wissen aus der vermittlerischen Arbeit hier einen Perspektivwechsel – raus aus dem sprichwörtlichen Elfenbeinturm und rein in die praktische Umsetzung kultureller Teilhabe.

Gemeinsam hat das Forschungsteam seit 2021 den Forschungsprozess gestaltet: Welche Grundannahmen sollen durch das Projekt untersucht werden? Welche Fragen sollten gestellt werden und wie kann die Untersuchung konkret aussehen? Das Team hat sich in den letzten zwei Jahren regelmäßig getroffen, um zusammen zu forschen: Es wurden zunächst qualitative Gruppeninterviews mit „Kulturgäst*innen“ durchgeführt. Unter dem Motto „Sprechen Sie mit uns über Kultur“ kamen so unterschiedlichste Menschen zusammen, die alle das Angebot der Initiativen nutzen, um sich auszutauschen, wie sie Kultur definieren, welche Barrieren es beim Kulturbesuch gibt, welche Lösungen sie sich wünschen, um den Zugang zu Kultur zu ermöglichen und was sich für sie verändert hat, seitdem sie bei den Kulturinitiativen angemeldet sind.

Die Auswertung dieser Interviews bildete die Basis für die zweite Befragungsphase: eine quantitative Umfrage, die vom 20. April bis zum 12. Mai 2023 deutschlandweit an rund 13.000 Kulturgäst*innen verschickt wurde. Im Fragebogen wurden Informationen zur Person, zum Kulturnutzungsverhalten und zur Nutzung der Angebote der Kulturinitiativen erhoben. Auf der Deutschlandkarte sieht man die teilnehmenden Initiativen, die Rücklaufquote lag bei 23,42% (2968 Teilnehmende).

Wie in jeder großen Bevölkerungsgruppe ist es auch bei einkommensschwachen Personen nicht möglich, sie in „eine Schublade zu stecken“. Insgesamt lässt sich aber festhalten, dass es sich bei den Befragten überwiegend um ältere Menschen handelt (44,46% sind 60 Jahre oder älter) und dass die Gruppe der Rentner*innen mit 36,83% den größten Anteil bei der Frage nach der aktuellen Tätigkeit ausmacht. Auffallend ist hier auch die mit 16,6% vergleichsweise hohe Zahl von Personen, die trotz Erwerbsarbeit (Mini-Job, Teilzeit- & Vollzeitbeschäftigung) von Armut bedroht und damit nutzungsberechtigt sind (n = 2373, Mehrfachnennung möglich.). 71,2% der Befragten gaben an, sich dem weiblichen Geschlecht zugehörig zu fühlen – eine Tendenz, die nicht nur das kulturelle Interesse in der Gesamtgesellschaft spiegelt, sondern sich auch durch das höhere Risiko der Altersarmut bei Frauen begründen lässt. 

Von der Populärkultur bis zur Hochkultur: der kulturelle Horizont wächst

Hauptfaktoren, die kulturelle Teilhabe negativ beeinflussen, lassen sich in drei Gruppen kategorisieren: Faktoren, die von Kultureinrichtungen beeinflusst werden können (wie Ticketpreise und ansprechende Kommunikation des Programms), Faktoren, die strukturell bedingt sind (wie  die Anbindung im ÖPNV) und individuelle Faktoren (wie keine Energie/ Motivation), die sich nur indirekt von Seiten der Kulturveranstalter beeinflussen lassen. Gründe, die Menschen zum Kultur- oder Sportbesuch animieren, sind zunächst „Abwechslung vom Alltag“ und „etwas Neues erleben“, gefolgt von „qualitativ ansprechende Darbietungen“ und der „Atmosphäre vor Ort“.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse des Forschungsprojekts ist es, dass die Kulturinitiativen als Brückenbauer zwischen Bevölkerung und Kulturanbietern vermitteln: Wer dort angemeldet ist, besucht über die Zeit immer mehr kulturelle Veranstaltungen, auch außerhalb des Angebots der Initiativen. Und auch der eigene „Geschmack“ verändert sich mit der Zeit – sind bei Menschen, die noch nicht so viele kulturelle Veranstaltungen besucht haben, gerade Sparten der Populärkultur (Kino, Comedy, Volksfeste) beliebter, so steigt mit der Zahl der Besuche auch das Interesse an der sogenannten Hochkultur, also Oper, Theater oder Ballett.

Kulturelle Teilhabe fördert das eigene Wohlbefinden

Dass kulturelle Teilhabe nicht alleinsteht, sondern wiederum Teil von gesellschaftlicher Partizipation ist, zeigt nicht nur die vorhandene Forschungsliteratur, sondern auch das Projekt: 57,21% der Befragten geben an, dass sie ihr persönliches Wohlbefinden durch die Nutzung der Angebote der Initiativen verbessert hat und 62,57% haben die Angebote der Initiativen bereits weiterempfohlen.

Die initialen Forschungsergebnisse wurden am 9. November 2023 bei der gemeinsamen Veranstaltung „Kultur mit wem? Tischgespräche zu Kultur und Teilhabe“ von HHU, Bundesvereinigung kulturelle Teilhabe e.V. und der Kulturliste Düsseldorf e.V. in den Räumlichkeiten  des Forum Freies Theater Düsseldorf und der Düsseldorfer Zentralbibliothek  vorgestellt. Über 100 Teilnehmende aus Wissenschaft, Kultur, Politik, Sozialem und der Zivilgesellschaft kamen dort zusammen, um sich über den Status Quo struktureller Barrieren hinaus, hin zu Veränderungsprozessen und neuen Zugängen zu Kultur auszutauschen.

Die Veranstaltung wurde durch die Unterstützung der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf e.V. und des Freundeskreises des Instituts für Kunstgeschichte ermöglicht.


Literaturangabe:

1Hoffmann, Hilmar (1981): Kultur für alle. Perspektiven und Modelle. Erw., akt. Ausg., Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag


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