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Düsseldorfer Kolonialgeschichte – Ein Projekt zur Erforschung der kolonialen Vergangenheit vor Ort

Wie waren die Stadt Düsseldorf und die umliegende Region an der Deutschen Kolonialgeschichte beteiligt? Dieser Frage widmet sich Lukas Sievert in einem neuen Forschungsprojekt, das von der Landeshauptstadt Düsseldorf zur Erforschung der kolonialen Verstrickungen der Düsseldorfer Bürgerschaft unterstützt wird. Das Projekt schließt an Forschungen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit der Stadt an, die seit einigen Jahren in der Abteilung Globalgeschichte von Prof. Dr. Stefanie Michels im Institut für Geschichtswissenschaften der Heinrich-Heine-Universität betrieben werden. Bis Juni 2026 soll eine Monografie entstehen, die dieses Kapitel der Stadtgeschichte aus einer globalhistorischen Perspektive systematisch bearbeitet.

Die deutsche Kolonialgeschichte hat in den vergangenen Jahren erneute Aufmerksamkeit durch die Geschichtswissenschaft erhalten und öffentliche Sichtbarkeit erfahren. Dabei geriet zunehmend die Region als Ort kolonialer Geschichte in den Fokus. Neben der Region als Austragungsort kolonialer Kultur, etwa in Museen, auf Veranstaltungen oder in der Gestaltung des öffentlichen Raumes, verfügten Regionen über eigene globale Beziehungen. Bis heute ist Deutschland ein stark föderativ geprägtes Land.  Gerade deshalb erweist es sich als sinnvoll, die Geschichte der deutschen Kolonialvergangenheit, die konzeptionell oft auf staatlich formale deutsche Kolonialherrschaft beschränkt wird, um regionale Perspektiven zu erweitern. Methodisch ist es ein zentrales Anliegen der Globalgeschichte, zu versuchen, jenseits nationalstaatlicher Schablonen auf die Vergangenheit zu blicken. Die Verbindungen bestimmter Städte und Regionen in die Welt zu untersuchen, kann dazu einen Beitrag leisten.

Die Region des Rheinlands und die Stadt Düsseldorf an zentraler Stelle waren im 19. Jahrhundert insbesondere von starken Industrie- und Handelsunternehmen geprägt. Hier mag sich eine regionalspezifische Kolonialgeschichte offenbaren. Denn die Suche nach Rohstoff- und Absatzmärkten brachte Düsseldorfer Unternehmen und Individuen nach Afrika, Asien, Amerika und Ozeanien und umgekehrt Personen aus diesen Regionen nach Düsseldorf. Während und auch vor der formalen deutschen Kolonialherrschaft waren sie in einem zunehmend von europäischen Kolonialreichen geprägten Weltwirtschaftssystem global aktiv. Gleichzeitig waren Düsseldorfer Industrielle in regionalen und nationalen Vereinen der kolonialen Agitation organisiert und prägten diese maßgeblich mit. Weltwirtschaftliche Interessen und koloniale Politik gingen dementsprechend Hand in Hand. Die rheinische Wirtschaft verfolgte somit das Interesse, sich globale Handlungsräume zu erschließen, und war dadurch auch an einem deutschen kolonialen Diskurs beteiligt.

Düsseldorf als Zentrum rheinischer Industrie

Für die Stadt Düsseldorf lassen sich diese kolonialpolitischen Aktivitäten regionalwirtschaftlicher Initiative mindestens bis in das Jahr 1843 zurückverfolgen, als hier der Versuch unternommen wurde, einen „Verein für deutsche Auswanderer“ zu gründen, dessen Aktivitäten noch weiter untersucht werden müssen. Ersichtlich aus Akten des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs (RWWA), umriss die Gruppe knappe dreißig Jahre vor Gründung eines deutschen Nationalstaates und gute vierzig Jahre vor der Errichtung formaler deutscher Kolonialherrschaft in einem Prospekt ihre Pläne, demografische Herausforderungen und die wirtschaftliche Entwicklung eines ganzheitlich gedachten Deutschlands durch eine kolonialpolitische Programmatik anzugehen. Dabei wurde Düsseldorf von diesem Verein explizit wegen seiner zentralen Lage in der rheinischen Industrieregion gewählt. Es deuten sich bereits unternehmerische Projekte, wie Firmengründungen, der überlieferten Mitglieder des Vereins in den Amerikas an. Dort verfolgte die Gruppe auch Siedlungspläne. Die Spuren dieser Aktivitäten sollen nicht nur von Düsseldorf aus, sondern auch vor Ort untersucht werden. Denn auch die Entwicklung dieser Vorhaben z.B. in Südamerika ist für diese Arbeit interessant. Ein weiteres Beispiel für die Verbindung wirtschaftlicher Interessen mit einer kolonialpolitischen Agenda, bietet der 1881 in Düsseldorf gegründete „Westdeutsche Verein für Kolonisation und Export“. An dieser Düsseldorfer Gründung war der bekannte koloniale Agitator Friedrich Fabri, der die Rheinische Mission in Barmen leitete, maßgeblich beteiligt. Wie sich schon am Terminus „westdeutsch“ im Namen zeigt, verdeutlicht der Verein eine regionalspezifische Kolonialgeschichte. Für diesen Verein ist ebenfalls im RWWA eine Mitgliedsliste mit über 360 Namen aus der regionalen Wirtschaft und Industrie überliefert. Mit 39 Mitgliedern stellt Düsseldorf die größte Anzahl in einer einzigen Stadt. Es waren globale Wirtschaftsinteressen, Patriotismus und koloniale Agitation, die eine Wirtschaftselite von Aachen über Köln und Düsseldorf bis Duisburg, Barmen und Elberfeld und vielen weiteren Orten der Region zusammenbrachte. Einige globalwirtschaftliche Aktivitäten der verzeichneten Mitglieder ließen sich bereits identifizieren, wie etwa Unternehmungen in Ozeanien und Afrika.

Einordnung in den europäisch-imperialen Kontext und den deutschen kolonialen Diskurs

Ausgehend von dieser umfassenden Mitgliedsliste, und weiteren Überlieferungen, etwa des „Vereins für deutsche Auswanderer“, will das Projekt „Düsseldorfer Kolonialgeschichte“ ein städtisches und regionales Wirtschaftsnetzwerk der kolonialpolitischen Agitation ausleuchten. Dessen Aktivitäten sollen einerseits in den europäisch-imperialen Kontext, der die zeitgenössische Weltwirtschaft prägte, und andererseits in den deutschen kolonialen Diskurs eingeordnet werden. Das Projekt setzt ab Mitte des 19. Jahrhunderts an und wird bis Anfang des 20. Jahrhunderts die „Düsseldorfer Kolonialgeschichte“ und deren Entwicklungen aufzeigen. Dafür sollen die wirtschaftlichen Unternehmungen und persönlichen Beziehungen der Mitglieder des „Westdeutschen Vereins für Kolonisation und Export“ und weiterer Akteure nachvollzogen werden. In welchen weiteren Interessenverbänden waren etwa Düsseldorfer regional, national oder sogar international engagiert? Welche Überschneidungen zwischen den verschiedenen Verbänden gab es? Welche Unternehmen aus Düsseldorf und der Region agierten auf globaler Ebene und in welchen Konstellationen? In einem zweiten Schritt sollen exemplarisch einige identifizierte globale Aktivitäten regionaler Unternehmen und Individuen genauer betrachtet werden. Neben der Identifizierung von Aktivitäten rheinischer Akteure im globalen Wirtschaftsraum, sollen diese auch vor Ort beleuchtet und eingeordnet, und deren Rückwirkungen in die rheinische Region herausgestellt werden. Denn es geht nicht lediglich darum, Aktivitäten rheinischer Akteure im globalen Wirtschaftsraum zu identifizieren. Um dem globalhistorischen Anspruch der Forschungsarbeit nachzukommen, sollen auch die ‚anderen Enden‘ der Verbindungen des Rheinlands in die Welt erforscht werden.

Die entstehende Dissertationsschrift kann dabei an verschiedene Forschungen anknüpfen, insbesondere an jene, die in der Abteilung Globalgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf bereits getätigt wurden. Mit dem Projekt soll der noch ausstehende umfassende Beitrag zur städtischen und regionalen Kolonialgeschichte geliefert werden.

 

Quellenangabe der erwähnten Dokumente: Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA): 22-25-4.


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