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Tim-Florian Steinbach: "Lebensstil und Lebensform. Herausforderungen der Moderne"

Aus den Instituten Philosophie Sonstiges

„Lebensstil und Lebensform. Herausforderungen der Moderne“

Tim-Florian Steinbach

 

Abstract:

Lebensstil und Lebensform bilden zentrale Begriffe im Werk Georg Simmels. In ihnen konzentrieren sich Simmels Auseinandersetzungen mit der Lebensphilosophie und dem Begriff des Lebens in besonderer Weise. Der Begriff des Lebensstils steht für die Komplikationen des menschlichen Lebens unter den Bedingungen der modernen Kultur. In Frage steht, inwieweit der Mensch imstande ist, seine Freiheit angesichts zunehmender gesellschaftlicher und institutioneller Zwänge zu bewahren und als selbstbestimmtes Subjekt einen eigenen Stil im Umgang mit der objektiven Kultur zu finden. Mit dem Begriff der Lebensform übersetzt Simmel die bereits früh entwickelte Formel vom Lebensstil als Konflikt zwischen dem selbstbestimmt handelnden Subjekt und den Zwängen der objektiven Kultur in die Grammatik einer Lebensphilosophie. Im Zentrum steht nunmehr das Zusammenspiel aus Form und Inhalt: Da der Mensch kein unmittelbares Selbstverhältnis besitzt, sind ihm die Inhalte des Lebens nur mittelbar über Formen zugänglich, in denen das Leben zu Ausdruck kommt. Damit aber schließt Simmel an Motive an, die er von Nietzsche übernommen hat und die auch bereits seinen Begriff des Lebensstils geprägt haben: Das Leben gebiert fortwährend neue Formen und muss zu diesem Zweck alte Formen zerstören.

Während der Begriff des Lebensstils kaum prominent rezipiert wurde, wird der Begriff der Lebensform in den letzten Jahren vermehrt diskutiert, z.T. jedoch unter umgekehrten Vorzeichen: Der Begriff der Lebensform verweist nicht mehr nur auf die von Simmel diskutierte Logik des Lebens im Zusammenspiel aus Form und Inhalt, sondern impliziert zugleich den von Simmel unter dem Begriff des Lebensstils diskutierten Konflikt zwischen dem handelnden Subjekt und den objektiven Zwängen der Kultur. Zusätzlich zu lebensphilosophischen und anthropologischen Argumentationszusammenhängen bietet der Begriff der Lebensform in aktuellen Diskussionszusammenhängen dadurch die Möglichkeit, sozialphilosophische und kulturkritische Themen einzuholen. Ebendiese Möglichkeit hatte Simmel jedoch bereits mit dem Begriff des Lebensstils eröffnet. Die Begriffe Lebensstil und Lebensform reagieren damit auf die Herausforderungen, denen sich das Subjekt in der Moderne – zwischen Selbstbestimmung und Entfremdungserfahrungen – gegenübersieht.

 

Zur Person:

Tim-Florian Steinbach ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bergischen Universität Wuppertal (Post-Doc) am Lehrstuhl für Kulturphilosophie und Ästhetik (Prof. Hartung). 2018 promivierte er mit einer Arbeit zu Gelebte Geschichte, narrative Identität. Zur Hermeneutik zwischen Rhetorik und Poetik bei Hans Blumenberg und Paul Ricœur (Alber, 2020). Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a.: Kulturphilosophie und -kritik, Philosophische Anthropologie, Technikphilosophie, Methoden der Philosophiegeschichtsschreibung und Hermeneutik. Derzeit arbeitet er an einem Projekt zu „Kulturphilosophie und Kulturkritik im Ausgang von Hegels Theorie des objektiven Geistes“.

 

Zur Vorlesungsreihe

Das 19. Jahrhundert ist geprägt von der Entstehung unabhängiger Einzelwissenschaften und einer damit verbundenen Kompartmentalisierung von Erkenntnis: Spezifische Erfahrungsbereiche werden jeweils zum Gegenstand einer für sie mehr oder weniger exklusiv zuständigen Einzelwissenschaft, deren Methoden- und Begriffsinventar sich von demjenigen anderer Disziplinen unterscheidet. Als Kind des 19. Jahrhunderts erwächst die Lebensphilosophie nicht zuletzt in kritischer Absetzung von dieser Tendenz einer Entkopplung der Wissenschaften von anderen gesellschaftlichen Systemen und ihrer Auffächerung in Subdisziplinen und Spezialgebiete. Sie ist, wie Otto Friedrich Bollnow plakativ anmerkt, „durch eine ganz bestimmte Kampfstellung gekennzeichnet“, die sich insbesondere gegen die Vorstellung richtet, der Mensch als philosophierendes Subjekt ließe sich adäquat als Objekt wissenschaftlicher Erkenntnis erfassen. Über die ,Abstoßbewegung‘ von einseitigen szientistischen und positivistischen Versuchen, das unmittelbare Erleben von Sinnhaftigkeit und individuellen Gestaltungsmöglichkeiten in formale Kategorien zu übersetzen, hinaus, geben die Vertreter der Lebensphilosophie damit einen wichtigen Impuls für die Weiterentwicklung philosophischer Methoden, der etwa in der Phänomenologie oder der Hermeneutik Ausdruck gefunden hat. Vor diesem Hintergrund werden im wöchentlichen Wechsel Expertinnen und Experten der Lebensphilosophie sowohl exemplarische Auseinandersetzungen mit einzelnen Positionen lebensphilosophischen Denkens von Schopenhauer und Nietzsche bis Dilthey und Simmel als auch Kontinuitäten zwischen der Lebensphilosophie und nachfolgenden Strömungen sowie systematische Weiterentwicklungen präsentieren.

Veranstaltungsdetails

26.06.2023, 16:30 Uhr - 18:00 Uhr
Ort: 23.21.U1 Raum 48
Verantwortlichkeit: